Die Kerngeschichte der erfolgreichen Avatar-Reihe ist nicht neu: Eine technisch überlegene Zivilisation unterdrückt eine moralisch überlegene Zivilisation, auch auf Kosten des Lebensraums, den die zweite Zivilisation ihr Zuhause nennt.
Dieser Kern birgt immer viel Zündstoff, besonders dann, wenn uns der Spiegel vorgehalten wird, und wir erkennen müssen, dass wir trotz unseres vermeintlich intellektuellen Vorsprungs, immer noch starke Defizite aufweisen.
James Cameron, nicht nur einer der letzten großen, halbwegs unabhängigen Regisseure Hollywoods, sondern hier auch für Drehbuch und Produktion verantwortlich, verlegt in seiner Geschichte die im Jahr 2154 spielt, den Schauplatz nach Pandora, einem Mond der einen extrasolaren Gasriesen umkreist.
Achtung! Hier kann es zu Spoilern kommen.
Avatar – Aufbruch nach Pandora – 2009 / FSK 12 / 2h 41 min
Handlung
Der gelähmte Ex-Marine Jake Sully (Sam Worthington) soll den Platz seines verstorbenen Zwillingsbruders einnehmen, und auf dem Mond Pandora an einer, von Dr. Grace Augustine (Sigourney Weaver) geleiteten anthropologischen Forschung teilnehmen. Auf Pandora wartet bereits ein dafür benötigter Klonkörper aus der Retorte, der den Ureinwohnern, den Na’vi, nachgestaltet wurde, und trotzdem noch entfernt seinem Bruder ähnelt. Sully ist es möglich, sich mittels mentaler Steuerung mit diesem sogenannten Avatar zu verbinden. Avatare sollen den Wissenschaftlern dazu dienen, mehr über die Na’vi zu lernen, und auch deren Vertrauen zu gewinnen.
Jedoch hat die Resources Development Administration (RDA), angeführt von Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang) andere Pläne. Denn die Rohstoffe auf der Erde sind erschöpft. Daher ist geplant, neue Rohstoffe zu erschließen, die jedoch auf dem Gebiet der Na’vi liegen. Daher möchte die RDA, die Na’vi dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Der Colonel schlägt Sully eine Geheimmission vor, mit dem Versprechen seine Wirbelsäule wiederherzustellen, wenn Sully im Gegenzug die Schwachstellen der Na’vi erkundet. In der Hoffnung wieder gehen zu können, stimmt Sully zu.
Im Urwald von Pandora lernt Sully die Häuptlingstochter Neytiri (Zoe Saldana) kennen. Die Beziehung startet holprig, doch nach und nach gewinnt Sully Neytiris Vertrauen. Unter Neytiris Obhut lernt der Ex-Soldat das fremde Volk immer besser kennen. Dabei entwickelt sich eine immer tiefere Bindung zwischen ihm und der Häuptlingstochter. Bald wird Sully klar, dass die Na’vi ihre Heimat niemals aufgeben werden. Nun muss er sich entscheiden, zwischen seinem Volk und den Na’vi…
Die Na’vi – Die ‚edlen Wilden‘
Urstämme oder Naturvölker werden in modernen Filmen manchmal gerne glorifiziert, indem man ihnen diesen Hauch von ‚im Einklang mit der Natur leben‘ verleiht. Sie besitzen eine Verbindung zur Erde, die technisierten Gesellschaften leider abhandengekommen ist, und strahlen unsere Sehnsucht nach unseren verlorenen Wurzeln aus. Wer wünscht sich nicht manchmal, den exotisch süßen Duft der Büsche und Bäume einzuatmen, während man mit geschlossenen Augen den Wind seine Haut streicheln lässt.
Dieses Verlangen nach einem ‚urtümlichen Leben‘ treibt manchmal seltsame Blüten, und kann zu abwegigen Verklärungen führen, besonders dann, wenn auch noch zeitgemäße Botschaften eingeflochten werden, wie z.B. der relativ aktuelle Film The Woman King zeigt, in dem das westafrikanische Königreich Dahomey mit entschlossenem Grimm Sklavenhändler bekämpft. In Wirklichkeit waren jedoch genau diese Dahomey einer der treibenden Kräfte im lukrativen Sklavenhandel mit Europäern und Südamerikanern. Sie überfielen ihre Nachbarn und verkauften Gefangene als Sklaven.
Fiktive außerirdische Zivilisationen haben nicht das Problem, sich mit historischen Fakten herumplagen zu müssen. James Cameron kann uns seine Na’vi vollkommen unbelastet von jedweder dunklen Vergangenheit präsentieren. Die Na’vi repräsentieren nicht nur, durch ihre innige Verbundenheit mit Pandora, den Einklang mit der Natur, sondern sie zeugen auch von einer kindlichen Unschuld, die wir Menschen schon lange hinter uns gelassen haben.
Was den Na’vi aufgrund dessen fehlt, ist eine tiefere Charakterzeichnung des ganzen Volkes, die ihnen mehr Realismus verleihen würde. Alles an den Na’vi wirkt irgendwie nett und reingewaschen. Die Na’vi scheinen auf mich, als kämen sie aus der Waschmaschine der Tugend, um das Ideal des ‚edlen Volkes‘ zu vertreten.
Es fehlen negative oder schwierige Seiten und die daraus erwachsenden Herausforderungen, mit denen ein reales Volk normalerweise zu kämpfen hätte.
Unter dem Strich bleiben bei den Na’vi nur einfache Ressentiments gegenüber dem fremden Jake Sully, oder im zweiten Teil, jugendliche Sticheleinen zwischen den unterschiedlichen Na’vi-Stämmen. Das ist zu wenig für ein Volk, zu dem ich ehrliche Emotionen aufbauen soll.
Pandora eine Neuauflage von Thra?
Teilweise erinnert mich Avatar sehr stark an Der Dunkle Kristall. Die beiden Völker, Na’vi und Gelflinge zum Beispiel, weisen markante Parallelen auf, gerade was ihre innige Verbindung zu ihrer Welt und den darauf lebenden Kreaturen betrifft.
Wie die Welt des Dunklen Kristalls, hat auch Pandora so etwas wie eine eigene Gaia, symbolisiert durch den Baum der Seelen, der den Na’vi einen Zugang zu Eywa (ebenjene Gaia – eine Art Bewusstsein, Nervensystem von Pandora) gewährt. Auf Thra können sich Gelflinge auf ähnliche Weise u.a. mit ihrem Geheiligten Baum verbinden, um mit der lebendigen Welt Thra zu ‚kommunizieren‘.
Die Natur von Pandora ist ebenso einzigartig, wie die von Thra. Allerdings sorgen bahnbrechende Specialeffekts dafür, dass wir das Gefühl haben, diese fremde Welt könnte tatsächlich irgendwo draußen im weiten Universum existieren.
Im zweiten Teil, wird dieser Umstand durch Pandoras Wasserwelt auf die Spitze getrieben. Als Zuschauer hatte ich fast das Gefühl, dass Cameron direkt nach seinem Tauchgang zur Titanic, persönlich in den Weltraum geflogen ist, um auf Pandora eine Unterwasserdoku zu drehen, so artenreich und vielfältig und tricktechnisch einwandfrei waren die fantastischen Strände, Lagunen und Riffe der Wasser-Na’vi. Nie habe ich ein ausgereifteres CGI-Spektakel gesehen, das man unbedingt auf der großen Leinwand verfolgen sollte. Hier hat Cameron wieder einmal einen neuen Maßstab gesetzt.
Pandora, mit seinen Dschungeln, schwebenden Felsen und faszinierenden Unterwasserwelten, bleibt ein großes Plus der Filmreihe. James Cameron hat eine fremde Artenvielfalt geschaffen, wie ich sie seit Der Dunkle Kristall nicht mehr gesehen habe.
Man leidet, wenn man mit ansehen muss, wie die eigenen Artgenossen auf diesem Mond in menschlicher Manier zerstörerisch umhertrampeln.
Avatar 2: The Way of Water – 2022 / FSK 12 / 3h 10 min
Handlung
Mehr als 10 Jahre ist es her, seit Jake Sully sich mithilfe von Eywa mit seinem Avatar vereint hat. Nun lebt er mit seiner Familie, – seiner Frau Neytiri und seinen Kindern friedlich zusammen.
Doch die RDA der sogenannten ‚Himmelsmenschen‘ steuert Pandora erneut an, um ihn zu kolonialisieren. Die Erde wird immer unbewohnbarer. Daher benötigen die Menschen diesmal nicht nur Rohstoffe sondern gleich eine neue Heimat. Mit der RDA kehrt auch ein alter Todfeind von Sully zurück: Colonel Quaritch, oder besser gesagt ein Avatar mit den Genen und den Erinnerungen des Colonels. Quaritch möchte Sully nun endgültig vernichten.
Um den Stamm nicht in Gefahr zu bringen, fliehen Sully und seine Familie, und sie finden vorerst ein Versteck bei den Wasser-Na’vi. Doch Quaritch gibt nicht auf. Er startet eine gewissenlose Suche nach Sully, und als er ihn schließlich findet, entbrennt ein Kampf um Leben und Tod…
Eigentlich ist Avatar 2 ein Aufguss von Avatar 1. An der Grundstory hat sich nicht viel geändert, doch der Focus liegt nun auf Sullys gesamter Familie. Dabei hat mir die adoptierte 15-jährige Tochter Kiri besonders gut gefallen. Gespielt wird Kiri von Sigourney Weaver, die schon Kiris leibliche Mutter Dr. Grace Augustine in Teil 1 verkörperte. Kiri bekommt einen eignen kleinen Nebenstrang in der Geschichte, da sie Gabe besitzt eine besondere Verbindung mit Eywa einzugehen.
Eine weitere interessante Nebenhandlung, der jedoch mehr Tiefe gutgetan hätte, ist das Verhältnis zwischen dem auf Pandora geborenen menschlichen Waisen Miles Socorro und dem Avatar von Colonel Miles Quaritch, der sich aufgrund der Erinnerungen des Soldaten, ungewollt in einer Vaterrolle wiederfindet.
Gedanklich am meisten beschäftigt, haben mich aber die großen ‚Wale‘ von Pandora, die Tulkun.
Tulkun: Der Heilige Pandora-Gr(W)al
Lo’ak, der zweite Sohn von Sully und Neytiri, wird eines Tages von einem wal-ähnlichen Meeresbewohner, einem Tulkun, gerettet und freundet sich mit ihm an. Dieser Teil der Story hat zu Beginn ein bisschen Free-Willy-Vibe. Die Freundschaft zwischen dem jungen Na’vi und dem einsamen Tulkun verleiht der Geschichte Würze. Wäre es in dieser Richtung weitergegangen hätte man eine super Nebenstory eröffnen können, die sich zum Ende hin, in den großen Showdown ergießt: Eine enge Beziehung zwischen einem Jungen und seinen Freund aus dem Meer, die den Vorurteilen der Na‘vi ebenso standhalten muss, wie den grausamen menschlichen Walfängern, die den Tulkun jagen.
Leider zeigt sich gerade hier, dass es nicht immer gut ist, wenn der Regisseur und Drehbuchautor James Cameron alle Freiheiten besitzt, und weder von seiner Vernunft noch von seinen Mitarbeitern gestoppt wird. Denn nur so kann ich mir das Zustandekommen einer Super-Kreatur wie den Tulkun erklären.
Ich habe keine Ahnung, worauf Cameron mit dieser Kreatur hinauswollte. Besitzt die Geschichte zu Beginn noch eine deutliche Rettet-die-Wale-Message, wird sie immer abstruser, je mehr wir über die Tulkun erfahren.
Denn Tulkun sind keine Wale. Sie sind überhaupt keine Tiere, sondern sie sind die mit Abstand intelligenteste Spezies auf Pandora, mit eigener Kultur, komplexer Kommunikation und Verständnis für z.B. Musik oder Mathematik. Das bedeutet, die Walfänger schlachten ganz bewusst Vertreter einer Spezies ab, die höher entwickelt ist, als sie selbst. Diesen Massenmord stecken die Walfänger mal ganz locker moralisch und psychisch weg. Große Gewissenbisse oder eine innere Zerrissenheit sucht man bei den Walfängern vergebens. Hier wird der tiefste Sumpf der Menschheit offengelegt, ohne dass Cameron uns zu tief in diesen Sumpf hinabziehen will. Alles soll ja blockbuster-mäßig hübsch verpackt sein.
Aber warum jagen die Menschen diese Spezies? Tuklun produzieren ein spezielles Sekret in einer Gehirndrüse: Amrita. Das Amrita stoppt den Alterungsprozess der Menschen vollkommen und verleiht quasi ewiges Leben. Kein Wunder also, dass sich die Menschen wie die Geier auf diese extrem gewinnbringende Mega-Essenz stürzen.
Nun könnte man annehmen: „Aber so ein bis zu 80 Meter langes, mächtiges, und intelligentes Wesen ist mit Sicherheit sehr schwer zu erlegen, und das Risiko dabei selbst ums Leben zu kommen muss ungeheuer groß sein“. Mitnichten! Denn Cameron gestaltet die Wesen so, dass wir möglichst viel Mitgefühl zu ihnen entwickeln sollen. Da würde es nicht passen, wenn die Tulkun mühelos alle Fahrzeuge samt Menschen versenken. Eigentlich wären die Menschen chancenlos gegen die Tulkun. Daher macht Cameron aus ihnen strenge Pazifisten. Von jedem Selbsterhaltungstrieb befreit, lassen sich Tulkun in der Regel eher töten bevor sie zum Selbstschutz oder Schutz ihrer Kinder zum Angriff übergehen. Wer es trotzdem tut, wird von der Gemeinschaft verstoßen und als Mörder geächtet. Daher können sie von den Walfängern mühelos und ohne Gefahr abgeschlachtet werden.
Mich hat Cameron mit diesem Tulkun-Gesamtpaket schon lange verloren. Natürlich kann man, wenn man möchte, eine logische Herleitung für die beschriebenen Merkmale dieser Kreaturen finden, trotzdem wirken sie selbst auf mich, einem eingefleischten Fantasy-Fan zu konstruiert. Ich bin zwar kein Mathe-Genie, habe aber mal folgende Formel aufgestellt:
(Jungbrunnen + Stein der Weisen) x (Einstein + Ghandi) = Tulkun
Hier schwindet die glaubhafte Geschichte. Ihre Bilder zerfallen, wie die Welt der Matrix, und ich erkenne, ähnlich dem senkrechten grünen Matrix-Code, die Zeichen auf dem Papier eines übertriebenen Drehbuchs. Ich ‚erwache‘, während meines Kinobesuchs. Sehr, sehr schade! Da wäre so viel mehr drin gewesen.
Das lange Finale ist wiederum voll spannender Action und zeigt neben dem Kampf der Na’vi gegen die Soldaten und Walfänger auch wie leicht es für EINEN Tulkun (Lo’aks Freund, der verstoßene ‚Mörder‘) ist, immensen Schaden unter den Menschen anzurichten.
Was nehmen wir mit, nachdem wir die Avatar-Filme gesehen haben?
James Cameron ist so auf seine Welt Pandora und den darauf lebenden Wesen fixiert, dass er leider auch die Gesamtkomposition seines Werkes vernachlässigt. Aber gerade die zeichnet sehr erfolgreiche Filme (zu denen auch Avatar gehört) eigentlich aus.
Wir erinnern uns gerne an einprägende Bilder, an einen wirkungsvollen Soundtrack, der den Film optimal ergänzt, oder einfach an schlagkräftige Oneliner, die, geschickt eingebaut, dem Werk sogar zu einem Kultstatus verhelfen könnten.
Avatar (beide Filme) hat nichts davon. Schöne Bilder, aber keine die bleiben, schöne Musik aber keine die nachhallt. Dabei hat Cameron in der Vergangenheit bewiesen, dass er das kann. Filme unter seiner Leitung boten unvergessliche Momente. Titanic hat einen grandiosen Soundtrack von James Horner, und die Szene in der Leonardo DiCaprio am Bug der Titanic Kate Winslet in den Armen hält, während sie beide Arme seitlich zum ‚Flug‘ ausbreitet, ist selbst Menschen bekannt, die den Film nicht gesehen haben. Die Szene ist Kult geworden.
Genauso Kult, die Oneliner: „Hasta la vista, baby!“ oder „Komm mit mir, wenn du leben willst“, aus Terminator 2. Was bietet Avatar? Einen Gruß? „Ich sehe dich!“. Bin ich der Einzige der als Antwort darauf „Nicht, wenn ich dich zuerst sehe“, parat hätte?
Fazit:
Camerons Welt Pandora ist im Aufbau und in den Details sehr ambitioniert in Szene gesetzt. Man merkt, wie viel Liebe in diesen Filmen steckt. Dass Avatar ein Herzensprojekt von James Cameron ist, glaube ich sofort.
Cameron drischt keine leeren Phrasen, wie so manch anderer Blockbuster-Regisseur, der niemals müde wird, uns zu erzählen, wie sehr er sich persönlich mit dem Franchise verbunden fühle, zu dem er gerade einen Film gedreht hat, – mir aber auf der Leinwand ein unmotiviertes Machwerk entgegenflimmert.
In Zeiten, in denen man sich kreativ kaum noch etwas Neues traut, zumindest was das Blockbuster-Kino betrifft, ist es schön, mal wieder ein frisches Franchise erleben zu dürfen.
Trotzdem! Die eigentliche Story ist aus dem Geschichtenbaukasten. Es wäre wichtig gewesen ein Teil der Liebe für Pandora auch in das Drehbuch zu stecken. So bleibt nur eine generische Geschichte nach dem Rettet-die-Welt-Prinzip, Rettet-die-Natur-Prinzip.
Hier hätte James Cameron etwas von Hayao Miyazaki lernen können. Der japanische Regisseur und Drehbuchschreiber hat seinen themengleichen Anime-Film Prinzessin Mononoke mit einer vielfach wirkungsvolleren Geschichte umgesetzt, die stellenweise unter die Haut geht.
Die Avatar-Reihe hingegen ist bisher inhaltlich leichtes aber kurzweiliges Popcornkino, mit bekannten Weisheiten, grandiosen Bildern und imposanter Action. Die meisten Fans des fantastischen Films werden sich sicher gut unterhalten fühlen.
Bildquelle: ©The Walt Disney Company Germany GmbH