Michael Sagenhorn/ März 5, 2025/ Kino und Film/ 0Kommentare

Die Urgewalt Godzilla steht als Allegorie für die zerstörerischen atomaren Kräfte, die mit dem Abwurf der Bombe auf Hiroshima am 6. August 1945 und Nagasaki am 9. August 1945 entfesselt worden sind, und Japan in ein kollektives Trauma gestürzt haben. Der Produzent Tomoyuki Tanaka wollte dieses Trauma filmisch verarbeiten, nach dem Vorbild des US-Monsterstreifens Panik in New York, und so entstand unter der Regie von Ishirō Honda 1954 der erste Godzilla-Film. 

Dieser Film wurde so erfolgreich, dass er sogar eine eigene Untersparte des Fantasy-Genres öffnete: Kaijū Eiga, in dem es um fremdartige Kreaturen und Riesenmonster geht. Godzilla ist in seinem Original zwar ein unbarmherziger Zerstörer, jedoch wurde das Monster so beliebt, dass 30 weitere japanische Filme produziert worden sind, und selbst Hollywood hat sich diesem Stoff angenommen. Nach und nach wandelte sich Godzilla zu einem Sympathieträger, der Japan vor allerlei anderen Riesen-Monstern retten durfte und sogar einen putzigen Nachwuchs bekommen hat. 

Auch in Hollywood sieht man Godzilla eher als ‚Held‘ mit zerstörerischen Kräften, für eine überdimensionierte Atom-Echse erstaunlich sympathisch in Szene gesetzt. Im sogenannten MonsterVerse führt Godzilla gemeinsam mit King Kong die Riege der Riesenmonster an. Die beiden letzten Vertreter dieses Franchises Godzilla vs. Kong von 2021 und Godzilla x Kong: The New Empire von 2024 liefen sogar mit beachtlichen Einspielergebnissen im Kino. Godzilla ist zu einem Star der Popkultur geworden. Das sollte sich mit dem hier vorgestellten Streifen aus dem Hause Toho Studios ändern. Godzilla Minus One kehrt zum Ursprung der Reihe zurück. Wie schon 1954 setzt ein gnadenloses Monster seine kolossalen Trampelfüße auf Tokios Straßen. 

Handlung

Als der Kriegsheimkehrer, der Kamikaze-Pilot Kōichi Shikishima im Dezember 1945 Tokio erblickt, erkennt er seine Heimat kaum wieder. Der Krieg hat die Stadt in einen zerbombten, dreckigen Trümmerhaufen verwandelt, der sich von der Trauer und Verzweiflung der Menschen ernährt. Gleich bei der Ankunft wird Kōichi von seiner Nachbarin wüst beschimpft, weil ihre Kinder bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sind, ebenso Kōichis Eltern. Er jedoch taucht heil hier auf, obwohl er ein Kamikaze-Pilot gewesen ist. 

Tatsächlich ist Kōichi von Schuld und Selbstvorwürfen zerrissen, denn statt dem Befehl nachzukommen, sich im vergangenen Krieg sinnlos zu opfern, hat er einen Defekt seines Fliegers vorgetäuscht und ist auf eine Insel ausgewichen, auf der eine kleine Mechaniker-Basis stationiert worden war.

Doch nicht nur der verweigerte Befehl bereitet Kōichi schlechte Träume, auch das schreckliche Erlebnis auf der Insel lässt ihn nicht los: Am Abend nach seiner Ankunft bemerkt er tote Tiefseefische auf dem Meer. Kurz darauf kracht es hinter den Bäumen. Er und die aufgeschreckten Mechaniker suchen Deckung. Ein Scheinwerfen beleuchtet das Dickicht und enthüllt eine saurierartige Kreatur, deren Laune gerade am Tiefpunkt ist.

„Godzilla!“ platzt einer der Mechaniker heraus. Diesen Namen haben die Einwohner der Insel dem Saurier gegeben. Kōichi bekommt von Sōsaku Tachibana, dem Chef der Mechaniker den Befehl, die Kreatur mit dem Maschinengewehr seines Fliegers zu töten. Doch Kōichi bleibt starr vor Angst. Das rettet ihm das Leben, aber alle Mechaniker außer Tachibana sterben. Nachdem sie das Feuer eröffnet haben, wütet Godzilla unter ihnen und tötet jeden, den er zwischen die Zähne bekommt. Tachibana verzeiht Kōichis Befehlsverweigerung nicht, was den Piloten zusätzlich verzweifeln lässt.

Dennoch versucht er sich in Tokio wieder zurecht zu finden. Auf einem Markt trifft er auf Noriko. Die junge Frau wird von der Polizei wegen Diebstahl verfolgt und drückt Kōichi ein kleines Baby in die Hand, bevor sie weiterflieht. Nach einigen Stunden taucht sie wieder auf. Kōichi nimmt sie und das Baby, die kleine Akiko, mit sich nach Hause. Da erfährt er, dass Noriko das Baby von dessen sterbender Mutter anvertraut worden war. Noriko und Akiko bleiben bei Kōichi. Die zusammengewürfelte Familie lebt seitdem gemeinsam in einer baufälligen Behausung. 

1946 bauen sie langsam ein neues Leben auf. Kōichi erhält eine gefährliche aber einträgliche Arbeit auf einem Minenräumschiff und findet dort neue Kameraden. Doch nach wie vor kämpft Kōichi seinen eigenen Kampf, gegen seine vermeintliche Feigheit und gegen die monströse Echse, die seine Träume beherrscht.

1947 geht dieser Traum schließlich leibhaftig in Tokio an Land. Im Stadtteil Ginza, dort wo Noriko arbeitet, beginnt er mit der Zerstörung. Behäbig und langsam, aber nun so groß und unüberwindbar wie ein Berg. Er reißt ganze Häuser ein und sein atomarer Blast legt das Viertel in Schutt und Asche. Für Kōichi wird es nun Zeit, sich seinen Ängsten zu stellen, selbst wenn es ihm das Leben kosten sollte…

Ein ganz gewöhnlicher Held

Im Gegensatz zu verwandten Hollywood-Filmen, die mit ihren menschlichen Charakteren kaum etwas anfangen können, und ausschließlich mit ihren Monstern punkten müssen, steht in Godzilla Minus One nicht Godzilla an erster Stelle, sondern die menschlichen Dramen und Schicksale, eingefangen vor allem durch Kōichi Shikishima. Durch ihn, den Kamikaze-Piloten, erkennen wir nicht nur den Aberwitz des Krieges, sondern auch die Ängste und Traumata, die sinnloses Morden und Zerstörungswut hinterlassen.

All diese destruktiven Kräfte sammeln sich in einer nahezu unzerstörbaren, alles überragenden Macht, die scheinbar unaufhaltsam ist. Dieser Godzilla ist kalt und grausam und folgt nur seinen Instinkten. Er ist die zu Fleisch gewordene Agonie, hervorgebracht durch den Schrecken des Zweiten Weltkriegs.

Wie Kōichi ist auch Japan allein, denn die USA wollten nicht helfen, da sie sich im angehenden Kalten Krieg mit der Sowjetunion befinden. Kōichi stellt sich gemeinsam mit Veteranen Godzilla entgegen. Sein aufkommender Mut, entspringt der Überwindung seiner Ängste und dem Annehmen seiner Schattenseiten. Wenn er nach einem Mechaniker für jenen Flieger ruft, mit dem er Godzilla bezwingen will, darf es daher nicht irgendein Mechaniker sein, sondern es muss Sōsaku Tachibana sein, um ihm zu zeigen, dass er nun bereit ist, alles für diesen wichtigen Kampf in die Waagschale zu legen.

Überstylte, etisch korrekte Schablonenhelden verkörpert z. B. von Jason Statham (Jonas Taylor, The Meg) oder Bruce Willis (Harry Stamper, Armageddon) haben hier Pause. Sie können sich getrost zurücklehnen und die Handlung menschlich nahbaren Figuren überlassen, die dem Film Seele verleihen.

Der Einfluss eines Meisters

Trotzdem meine ich auch in Godzilla Minus One einen Einfluss von Hollywood ausmachen zu können, und zwar etwas vom Besten das Hollywood einstmals zu bieten hatte, damals als das Blockbuster-Kino zwar weniger Geld für seine Produktionen ausgab, aber dafür mehr Herz in ebenjene investierte.

Die nächtliche Szene auf der Insel, in der man Godzilla zum ersten Mal sieht, erinnert mich stark an den ersten Auftritt des T-Rex in Jurassic Park.  Zwar ist Godzillas Auftritt mit weniger Suspense versehen, aber trotzdem immer noch sehr eindrucksvoll inszeniert, so als hätte sich Takashi Yamazaki von seinem berühmten amerikanischen Kollegen Steven Spielberg inspirieren lassen.

Auch als Kōichi im Hafen zum ersten Mal das ‚Spezialboot‘ für Minenräumung betritt, einen Holzkutter der Kōichi zuerst nicht ganz koscher vorkommt, fühlte ich mich an ein weiteres Spielberg-Meisterwerk erinnert: Der weiße Hai – besonders auch dann, wenn der alte Kutter auf die Jagd nach Godzilla geschickt wird.

Vielleicht hatte der Regieseur Takashi Yamazaki tatsächlich eine latente Ehrung des alten Meisters und früherer Hollywoodstreifen im Sinn. Da würde sich Der weiße Hai nicht nur von der Handlung her anbieten, sondern auch von seiner Wurzel, denn mit diesem Film wurden die Blockbuster-Filme ins Leben gerufen.

Auch Einflüsse aus dem Original bringt der Film unter, allen voran das ikonische Godzilla-Thema von Akira Ifukube, das als perfekte akustische Untermalung für den Showdown dient.

Das große ‚G‘ auf dem Filmplakat spiegelt übrigens ebenfalls die Anfangszeiten wider, denn Godzilla hieß im Anfangsstadium nur ‚G‘. Später machte man dann ‚Gojira‘ daraus, nach dem Spitznamen eines Toho-Mitarbeiters. Ein amerikanischer Verleih verlieh dem Monster schließlich den uns bekannten Namen ‚Godzilla‘.

Fazit

Godzilla Minus One hat mich positiv überrascht, trotz der überwiegend wohlwollenden Kritiken, die ich im Vorfeld studiert habe. Zwar war ich auch gern dabei, als Godzilla und King Kong aufeinandertrafen, aber im Allgemeinen kann ich der japanischen Riesenechse nicht viel abgewinnen. Hier wurde ich jedoch in allen Belangen abgeholt. 

Für Godzilla-Fans ist Godzilla Minus One ein Muss. Aber auch Menschen, die normaler Weise nicht viel mit diesem Stoff anfangen können, sollten einmal einen Blick riskieren, schon allein deshalb um zu sehen, was man mit etwas mehr als 10 Millionen Dollar, also dem Bruchteil des Budgets eines heutigen Hollywood-Blockbusters, alles auf die Beine stellen kann. Der Film spielte weltweit 116 Millionen Dollar ein. Er wurde somit nicht nur von Fans und Kritikern gefeiert, sondern spülte noch einen ordentlichen Gewinn in die Kassen. Zudem gewann er einen Oscar für die besten visuellen Effekte.

Godzilla Minus One ist auf ist auf Blu-Ray und DVD erhältlich.


Share this Post

Über Michael Sagenhorn

Im bürgerlichen Leben: Michael Schnitzenbaumer, lebt in Poing bei München, mit seiner Frau Steffi und seinen beiden Kindern Tatjana und Sebastian. Beruflich ist er als Webentwickler tätig, und natürlich auch als Grafiker und Illustrator. Neben den Hobbys 'Fotografie', 'Reisen und 'Kochen' liest er für sein Leben gerne phantastische Romane. Sofern es seine Zeit zulässt, spielt er auch mal gern ein Computerspiel. Was ich mag! Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Empathie, Romantik - Ohrenstöpsel und Tante Gretels Apfelkuchen. Was ich nicht mag! Verrat, Geldgier (obwohl ich gegen Geld oder Reichtum gar nichts einzuwenden habe), Egomanie - früh aufstehen.

Hinterlasse einen Kommentar