Michael Sagenhorn/ September 16, 2022/ Kino und Film/ 0Kommentare

2017 – 2018 / FSK 12 / Staffel 1, 13 Episoden, je 24 Minuten

Da dies meine erste Rezension zu einem Anime ist, möchte ich ein paar allgemeine Worte zu Animes vorausschicken.

Wie auch bei Comics (oder in diesem Fall Mangas, die häufig als Vorlage für Animes verwendet werden), sollte man sich bei Animes davor hüten, deren Geschichten generell als trivial oder oberflächlich abzuwinken.

Natürlich gibt es bei der Fülle an Animes auch Animes die ‚unter aller Kanone‘ sind. Wie bei Realfilmen der westlichen Kultur existiert auch beim japanischen Trickfilm eine Menge Ramsch. Aber um Ramsch soll es bei meinen Bewertungen nicht gehen.

Vielmehr möchte ich, wenn ich Animes vorstelle, von intensiven oder tiefen Geschichten erzählen, – von cineastischen Perlen, zu der meiner Meinung nach auch Violet Evergarden gehört.

Handlung

Eine fiktive Welt, eine alternative Zeit. Der erbitterte Krieg zwischen dem Norden und Süden des Kontinents Telesis hat endlich ein Ende gefunden. Er lässt traumatisierte Existenzen zurück.

Eine davon ist die junge Soldatin Violet Evergarden. Während des Krieges diente sie Major Gilbert als bedingungslose Tötungsmaschine, die ohne zu fragen jeden Befehl befolgte.

Violet kam als namenloses Waisenkind zu Major Gilbert, der sie anschließend ausbildete, bevor beide in die Armee des Landes Leidenschaftlich eingezogen wurden, um gegen das Gardarik Imperium aus dem Norden zu kämpfen. Aufgrund dessen kennt sie nur den Krieg. Normales Leben ist ihr fremd.

Während der letzten Tage des Krieges, wurde Violet in einem dramatischen Gefecht von Major Gilbert getrennt, der seit dieser Zeit als verschollen gilt. Zudem verlor sie bei diesem Gefecht beide Arme. Im Krankenhaus erhält sie stattdessen Prothesen aus Adamantium.

Eine neue Bleibe findet Violet in Leiden, der Hauptstadt von Leidenschaftlich, beim ehemaligen Leutnant Hodgins, einem Freund von Major Gilbert. Da Hodgins eine Postfirma leitet, wartet nicht nur ein neues Zuhause auf die gefühlsarme Soldatin, sondern auch eine neue Berufung als Akora (Autonome Korrespondenz-Assistentin). Die Aufgabe einer Akora ist es, Briefe im Namen anderer Menschen zu verfassen. Dabei müssen Akoras die Gefühle und Anliegen dieser Menschen angemessen in den Briefen wiedergeben.

Während Violet aufgrund ihrer neuen Tätigkeit versucht, hinter die Gefühle der Menschen zu dringen, wird sie immer stärker mit ihren eigenen Gefühlen konfrontiert, die bis dahin tief in ihr vergraben waren…

Fantasy? Science-Fiction? Alles oder nichts, davon? Der Anime ist ebenso schwer einzuordnen, wie die Epoche in der Violet Evergarden spielt. Die Stadt Leiden und die Kleidung erinnert mich an unser viktorianisches Zeitalter, – bzw. auch ein bis zwei Jahrzehnte darüber hinaus. Bei Violets neuen Händen hingegen muss ich eher an Cyberpunk denken. Sie zeigen auf, dass der technische Fortschritt auf Telesis höher ist, als bei uns zu jener Zeit.

Hightech oder Internet gibt es dennoch nicht. Briefe sind die bevorzugte Methode der politischen, geschäftlichen und privaten Korrespondenz.

Schwert und Feder

Es ist die alte Frage: Was ist mächtiger? Schwert oder Feder? Wenn Violet mit ihren kalten Adamant-Prothesen in die Schreibmaschine hackt, ist das auch ein Sinnbild für etwas, das sie verloren hat. Krieg war ihr einziger Lebensinhalt. Mit dem Verlust ihrer Hände aus Fleisch und Blut, musste sie auch das alte Leben als Mordmaschine hinter sich lassen.

Dementsprechend holprig sind ihre ersten Versuche die richtigen Worte für die Gefühle ihrer Klienten zu finden, – dementsprechend ungelenk sind auch die ersten Zeilen mit diesen metallenen Händen.

Selbsterkenntnis ist zu Beginn kaum bei ihr vorhanden. Sehr schön beschreibt das eine Szene, in der ersten Episode, als ihr Chef Hodgins sagt: „Jetzt ist dir noch nicht bewusst, dass dein Körper in Brand geraten ist und brennt, aufgrund der Dinge, die du getan hast!“

Violet versteht nicht, was er meint und erwidert emotionslos. „Ich brenne doch nicht!“

Erst zu einem späteren Zeitpunkt wird Violet in einem ergreifenden Moment klar: „Jetzt begreife ich was Hodgins gemeint hat…. Ich brenne!“

Violet tötete im Krieg, ohne ihre Befehle zu hinterfragen. Erst während ihrer Tätigkeit als Akora wird die damit konfrontiert, dass auch hinter den feindlichen Soldaten Menschen stecken, – und Familien, die um jene Menschen trauern.

Mit Voranschreiten der Geschichte weiß Violet Evergarden immer besser mit ihren Worten umzugehen. Das gefürchtete ‚Soldatenmädchen aus dem Leidenschaftsreich‘ tauscht das Schwert gegen die Feder ein, und wandelt sich zu einer geachteten und prominenten Vertreterin ihrer briefschreibenden Zunft.

Verlust

Obwohl Major Gilbert vermisst wird, spielt er trotzdem eine wichtige Rolle in Violets Leben. Zum einen liefert er den Hauptgrund warum sie Akora werden möchte, da sie versucht den Sinn seiner letzten an sie gerichteten Worte zu verstehen: „Ich liebe dich!“

Zum anderen gibt Violett die Hoffnung nie auf, ihn wiederzusehen. Sie kann sich mit seinem Verschwinden oder gar Tod nicht arrangieren.

So ist der Major, der sich schwere Vorwürfe gemacht hatte, weil er Violet zu einer Kampfmaschine ausgebildet hat, auch jetzt ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für sie.

Hier muss Violet ebenfalls erwachsen werden, und erfahren was es bedeutet Verantwortung in die eigenen Hände zu nehmen, anstatt blind fremden Befehlen zu folgen.

© Kana Akatsuki, Kyoto Animation / Violet Evergarden Production Comittee, Violet Evergarden-Der Film

Violet Evergarden – Der Film

2020 / FSK 12 / ca. 134 Minuten

Der Spielfilm von 2020 (nicht verwechseln mit Violet Evergarden und das Band der Freundschaft von 2019) schließt direkt an die Serie an und ist ein gelungener Abschluss der Geschichte. Hier laufen die letzten offenen Handlungsstränge zusammen. Wem die Serie gefällt, sollte den Film auf jeden Fall mitberücksichtigen.

© Kana Akatsuki, Kyoto Animation / Violet Evergarden Production Comittee, Violet Evergarden-Der Film

© Kana Akatsuki, Kyoto Animation / Violet Evergarden Production Comittee, Violet Evergarden-Der Film

Deutsche Namen für Orte und Adelshäuser

Netter Fun Fact: Deutsch ist für Japaner genauso exotisch wie japanisch für uns. Daher sind Namen, die eigentlich fremd klingen sollten, für uns nur allzu vertraut. Neben dem Land Leidenschaftlich (oder Leidenschaftsreich) und seiner Hauptstadt Leiden, gibt es z.B. noch eine Stadt die Mächtig heißt.

Die Königshäuser Flügel und Drossel der gleichnamigen Königreiche, wollen durch eine Vermählung ihre Häuser vereinen und somit für die Zukunft den Frieden sichern.

Auch auf andere europäische Länder wird referenziert. So werden auf dem Land stellenweise Erinnerungen an die Schweiz wach, die Städten wurden wohl von Großbritannien und Frankreich inspiriert. Das macht diese fiktive Welt gerade für uns Europäer nahbarer.

Fazit

Violet Evergarden ist ein ruhiger aber ergreifender Anime mit viel Gefühl. Die Story ist stellenweise sehr sentimental, ohne aber in den Kitsch abzugleiten.

Hier geht es nicht nur um Violet und ihren Major. Es geht um vom Krieg gezeichnete Menschen aller Standesklassen, die sowohl den Neuaufbau ihrer Städte -, als auch die Heilung ihrer Seele bewerkstelligen müssen. Nicht die Schrecken des Krieges stehen hier im Vordergrund, sondern das Trauma, das Nationen und ihre Bürger nach dem Krieg bewältigen müssen.

So wird der graue Geist des Krieges selbst hinter den bunten und teilweise malerisch schönen Bildern des Anime spürbar. Trotz des Friedens ist der Krieg noch gegenwärtig in den Köpfen der Menschen. Aber anstatt seine Trostlosigkeit zu zelebrieren, wird Hoffnung auf eine konstruktive und friedvolle Zukunft gesät.

Violet EvergardenDie Serie und Violett Evergarden – Der Film sind als DVD und BluRay erhältlich, oder kann auf Netflix gestreamt werden.

Bildquelle: © LEONINE Studios

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Über Michael Sagenhorn

Im bürgerlichen Leben: Michael Schnitzenbaumer, lebt in Poing bei München, mit seiner Frau Steffi und seinen beiden Kindern Tatjana und Sebastian. Beruflich ist er als Webentwickler tätig, und natürlich auch als Grafiker und Illustrator. Neben den Hobbys 'Fotografie', 'Reisen und 'Kochen' liest er für sein Leben gerne phantastische Romane. Sofern es seine Zeit zulässt, spielt er auch mal gern ein Computerspiel. Was ich mag! Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Empathie, Romantik - Ohrenstöpsel und Tante Gretels Apfelkuchen. Was ich nicht mag! Verrat, Geldgier (obwohl ich gegen Geld oder Reichtum gar nichts einzuwenden habe), Egomanie - früh aufstehen.

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