Michael Sagenhorn/ Oktober 5, 2023/ Kino und Film/ 0Kommentare

2021 / FSK 16 / 117 Minuten

Zuletzt habe ich Hatching als Phantastischen Film vorgestellt, der seine Message durchdacht an den Zuseher heranträgt.

Nun will ich eine Co-Produktion zwischen Norwegen, Schweden und Dänemark näher beleuchten. Die Rede ist von dem Horror-Drama The Innocents.

Wobei man auch, wie bei ersterem Film, Abstriche bei den Erwartungen an übersinnliche Horror-Elemente machen muss. Auch hier dient der Phantastische Film deutlich als Sinnbild für die realen Herausforderungen unserer Welt. The Innocents ist vor allem ein Drama.

Bei dieser Besprechung kann es zu leichten Spoilern kommen.

Wie so oft beginnen solche Geschichten mit einem Umzug. Ein Umzug ist immer ein beliebtes Mittel eine große Veränderung im Leben einer Figur einzuläuten, gerade wenn es um Kinder geht.

Kinder nehmen Umzüge als umwälzender wahr, als wir Erwachsene es tun. Mit der neuen Umgebung erwartet sie nicht selten eine neue Schule und neue Freunde.

Gerade bei Kindern geht mit dieser Veränderung eine gewisse Hilflosigkeit ihrerseits einher, da sie in der Regel wenig Einfluss auf die Entschlüsse der Erwachsenen haben. In dieser Geschichte erfolgt der Umzug Aufgrund der neuen Anstellung des Vaters.

Als besonders schlimm empfinde ich persönlich Umzüge dann (egal ob in Filmen oder in Wirklichkeit), wenn die Endstation ein Wohnsilo ist, in dem hunderte Menschen zusammengepfercht (ich empfinde es so) leben müssen.

Handlung

In so einen Apartmentkomplex verschlägt es die neunjährige Ida (Rakel Lenora Flottum) mit ihrer älteren autistischen Schwester Anna (Alva Brynsmo Ramstad).

Ida ist komplett überfordert, zu ihrer Schwester eine Bindung aufzubauen. Für sie besitzt die stumme Autistin weder Gefühle noch einen eigenen Willen. Beim Erkunden der neuen Gegend lernt sie den gleichaltrigen Ben (Sam Ashraf) kennen. Der zeigt ihr erstaunliche Dinge, denn Ben kann kleine Gegenstände mit seinen Gedanken durch die Luft schweben lassen. Sie freunden sich miteinander an, und verbringen viel Zeit zusammen, doch allmählich legt Ben ein verstörendes Verhalten an den Tag. Ida findet es noch ganz amüsant Ameisen mit ihm zu quälen, doch als Ben neugierig eine Katze von einem hohen Treppenhaus schmeißt, ahnt Ida, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmt.

Indessen freundet sich Anna mit dem Mädchen Aisha (Mina Yasmin Bremseth Asheim) an. Mehr noch. Scheinbar haben die beiden eine telepathische Verbindung miteinander. Mit der Kraft ihrer Gedanken können sie sich austauschen. Anna ist es sogar möglich mit Aishas Hilfe zu sprechen.

So erfährt Ida durch Aisha, dass Anna durchaus Gefühle hat und auch Schmerzen empfinden kann. Das bringt die Schwestern näher zusammen. Und oft spielen nun die vier Kinder gemeinsam auf dem Spielplatz im Hof oder im angrenzenden Wald. Hauptsächlich trainieren sie ihre telepathischen und telekinetischen Kräfte, bis Ben beginnt nicht nur Tieren, sondern auch Menschen Schaden zuzufügen.
Ab diesen Zeitpunkt wird Ben für sie alle zur tödlichen Gefahr…

Die Macht der Kinder

Wir erfahren nicht, woher die Kinder ihre Kräfte bekommen, können aber mutmaßen, dass vielleicht das autistische Mädchen Anna zumindest ein Katalysator für diese Kräfte ist. Interessant ist, dass nicht ihre Schwester Ida Zugang zu ihr und ihren Kräften findet, sondern die freundliche Aisha. Durch sie lernt Anna ihre Kräfte zu nutzen.
Ida hingegen scheint zu Beginn überhaupt keine Kräfte wachrufen zu können. Aber liegt es vielleicht nur daran, dass sie sich dagegen sperrt, in Anna einen vollwertigen Menschen zu sehen?

Ben setzte seine Macht am effektivsten ein. Mittels Illusionen ist es ihm sogar möglich, Menschen seinen Willen aufzwingen. Aber er nutzt seine Kräfte von Anfang an nur destruktiv. Im Laufe der Handlung lernen wir ihn, als zutiefst verunsicherten Jungen aus einer zerrütteten Familie kennen.

Der Film würde ohne das großartige Schauspiel der vier Kinderdarsteller nicht funktionieren. Sie tragen diesen Film vollkommen allein. The Innocents wird rein aus ihrer Perspektive erzählt. Erwachsene sind lediglich Beiwerk. Die Kinder leisten hervorragende Arbeit. Herauszustreichen ist dabei Alva Brynsmo Ramstad in ihrem Debut als autistische Anna. Sie spielt Anna so überzeugend, dass ich mich erst mal gefragt habe, ob sie nicht tatsächlich Autistin ist.

Kinder an die Macht“ – Wirklich, Herr Grönemeyer?


Wir werden in Grund und Boden gelacht“, singt Herbert Grönemeyer in seinem Lied, das mittlerweile Kultstatus besitzt.
Würde man diesen Text allzu wörtlich nehmen, müsste man dem naiven Glauben verfallen, unschuldige Kinder würden die Welt besser machen, wenn sie doch nur die Macht dazu bekämen.

Der Film zeigt uns da einen anderen, vermutlich realistischeren Blickwinkel auf kindliche Unschuld.
Gebt den Kindern das Kommando. Sie berechnen nicht, was sie tun…“, hört man im Liedchen, und genauso ist es! Sie berechnen nicht, was sie tun! Sie tun es einfach.

Kinder sind teilweise grausam. Idas Hilflosigkeit im Umgang mit ihrer Schwester drückt sich u.a. dadurch aus, dass sie zufällig gefundene Glasscherben in den Schuhen ihrer Schwester versteckt, nur um zu prüfen ob Anna Schmerzen empfindet, wenn sie sich in diesen Schuhen die Füße blutig läuft. Ida hat aber nichts gegen Anna. Sie ist einfach nur neugierig.

Unschuld bei Kindern bedeutet nicht, dass sie automatisch eine bessere, gerechtere Welt erschaffen würden, wenn sie die Macht dazu hätten. Sondern es bedeutet, dass Kinder deshalb unschuldig sind, weil sie sich der Schuld, die in ihrer Handlung liegen könnte, nicht bewusst sind.

Das bedeutet, dass auch in jenen Kindern die grausamen Taten verüben, eine gewisse Unschuld steckt. Die Taten selbst sind zu verurteilen, die Kinder aber müssen trotzdem nicht unbedingt als schlecht oder gar böse angesehen werden, da sie lediglich ihren (kindlichen) Denkmodellen folgen.

Ein Prozess des Erwachsenwerdens ist es, diese Unschuld abzustreifen und Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen, ohne sich hinter dem Kind, das wir einmal gewesen sind zu verstecken. Diese Botschaft vermittelt der Film sehr gut.

Fazit

Am Ende des Filmes, endet auch der Sommer. Viele Bewohner kehren nach den Ferien in die trostlose Wohnanlage zurück. Das eröffnet das Spielfeld zum Showdown zwischen den Schwestern und Ben: Wir erleben zwischen Spielplatz und See ein stilles, intensives Duell ohne Worte. Nur die Kinder der Wohnanlage bemerken, dass sich während ihrer Abwesenheit ein Konflikt angebahnt hat, der nun, unbemerkt von den Erwachsenen, seinen tödlichen Höhepunkt findet.

Der Film zeigt Kinder einmal von einer anderen Seite. Die meisten Filme heben bei Kindern die positiven Eigenschaften hervor, ihre Vorurteilslosigkeit und Offenheit, doch Kinder besitzen auch dunkle Seiten, die hier durch eine kluge Story und talentierte Darsteller nähergebracht werden.
Nicht alle Phantastik-Fans werden etwas mit diesem Film anfangen können. Die gezeigte Gewalt ist teilweise kalt und brutal und erschreckend realistisch. Wer sich jedoch darauf einlässt, erhält mit The Innocents, die Unschuldigen, eine wirklich bewegende Geschichte.

The Innocents ist auf DVD und Blu-Ray erhältlich und kann auf Amazon Prime gestreamt werden.

Bildquelle: © capelight pictures

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Über Michael Sagenhorn

Im bürgerlichen Leben: Michael Schnitzenbaumer, lebt in Poing bei München, mit seiner Frau Steffi und seinen beiden Kindern Tatjana und Sebastian. Beruflich ist er als Webentwickler tätig, und natürlich auch als Grafiker und Illustrator. Neben den Hobbys 'Fotografie', 'Reisen und 'Kochen' liest er für sein Leben gerne phantastische Romane. Sofern es seine Zeit zulässt, spielt er auch mal gern ein Computerspiel. Was ich mag! Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Empathie, Romantik - Ohrenstöpsel und Tante Gretels Apfelkuchen. Was ich nicht mag! Verrat, Geldgier (obwohl ich gegen Geld oder Reichtum gar nichts einzuwenden habe), Egomanie - früh aufstehen.

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