Michael Sagenhorn/ Oktober 19, 2023/ Kurzgeschichten/ 0Kommentare

Genre: Fantasy – Geeignet für alle Altersgruppen

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Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten, als Hadin Donnerklippe eine verlassene Stadt im hohen Norden erreichte, die so abgelegen errichtet worden war, dass man meinen konnte, deren Erbauer wollten sich vor dem Rest der Welt verbergen. Die Stadt besaß eine stattliche Größe und war zum Teil mitten in die Felswände der angrenzenden Berge gehauen. In einem fern zurückliegenden Zeitalter mochte es auf den, nun verfallenen Straßen, lustig zugegangen sein, doch längst hatten sich die Wurzeln der aggressiven Rankengewächse, die der immerwährenden Kälte trotzen konnten, durch die fein gearbeiteten Steine gebohrt. Häuser lagen verfallen da, teilweise überwuchert vom Dickicht der wilden Umgebung, aber ihre fingerfertige Beschaffenheit zeugte davon, dass hier einmal eine große Hochkultur sesshaft gewesen sein muss, fortschrittlicher als die der Menschen, und – das wunderte Hadin noch mehr – vom gleichen Gespür für die Verwertung von Steinen, mit der sein eigenes Volk gesegnet ist.

Der mutige Dwark-Krieger (1) hob seinen Kriegshammer aus der Halterung und drang tiefer in die Ruinenstätte vor. Vorsichtig prüfte er die Umgebung. Nicht, dass er am Ende von fleischfressenden Tieren oder anderen angriffslustigen Wesen mit einer lohnenden Beute verwechselt wurde. Er fragte sich welches Volk hier gelebt hatte. Wohin waren sie verschwunden? Aus den Ruinen ließ sich das nicht ableiten, doch eins stand für Hadin Donnerklippe fest: Diese Stadt war der bisher Aufsehen erregendste Fund, seit er seine Heimat, die Gewitterberge, verlassen hat, um in die nördlichsten Regionen der Welt Avalgaron zu reisen, die noch unerforscht vor sich hinschlummern. Hier, am sogenannten ‚Grad der Welt‘, erhoffte sich der erfahrene Abenteurer neue Herausforderungen und Entdeckungen.
Ganz besonders deshalb, weil das traurige Lied eines Barden seine Aufmerksamkeit erregt hatte, als er in der einsamen Taverne Zum Kristallberg, eine Rast einlegt hatte. Das Lied handelte von einem unbekannten Volk, das nahe der Eiswindklamm eine Siedlung gehabt haben soll. Dieses Volk wurde anscheinend von einer bösen Macht ausgelöscht, und danach von der Welt vergessen. Böse Mächte, die einen auslöschen wollen, sind genau das Richtige für Hadin! Auf Nachfrage erklärte der Barde, dass ein Poet ihm diese Geschichte zugetragen hat. Der Barde, er hieß Kolgimar, traute dieser Geschichte zwar nicht so recht, fand es aber sehr seltsam, dass der Poet am Morgen danach, spurlos verschwunden war. (Siehe Kurzgeschichte: Das vergangene Volk).

Die Siedlung in der Eiswindklamm hatte Hadin nicht gefunden. Trotzdem marschierte er tiefer in den Norden, mit der Absicht, mehr von den unbekannten Regionen auszukundschaften.
Nach mehreren Tagesreisen erreichte er diese versunkene Stadt, dessen kunstfertige, filigrane Bauweise, ihn an die Beschreibung des Barden erinnerte.

Hadin strebte dem westlichen Rand der Stadt entgegen. Ihm war ein spitz zulaufendes Gebäude ins Auge gestochen. Dieses Gebäude überragte die Übrigen bei weitem. Grund genug für eine eingehende Erkundungstour, beschloss der Dwark. Vor dem Eingang empfingen ihn zwei überlebensgroße, steinerne Figuren, die filigrane weibliche Menschenwesen mit gefiederten Schwanenschwingen darstellten. Sie flankierten das Tor und sahen auf ankommende Besucher herab. Der Krieger wusste zwar nicht, wem oder was die Statuen darstellen sollten, aber er fand, dass sie gut zu einem Tempel passten, so friedlich und fromm wie sie ihn anblickten, obwohl ihre Züge schon sehr unter der Witterung gelitten hatten. In den Tempel zu gelangen war nicht schwer. Das aus den Angeln gehobene Tor lehnte weit offen, so dass Hadin sich nur hindurchzuzwängen brauchte.

***

In der einen Faust eine Fackel, in der anderen seinen Hammer; so tastete sich Hadin langsam in den vermeintlichen Tempel. Er wollte keine Falle auslösen, oder auf eine brüchige Steinplatte treten, die beim geringsten Druck zerbricht und womöglich einen bodenlosen Abgrund freilegt.
Hadin hoffte, ein paar schöne und vor allem kostbare Andenken zu erbeuten. Doch schon bald stellte er ernüchtert fest: „Da hat ja jeder Abwasserkanal einer Menschenstadt mehr zu bieten. Darin findet man wenigstens hin und wieder eine abgesoffene Leiche mit brauchbaren Habseligkeiten“.

Er marschierte von Raum zu Raum, von Kammer zu Kammer, ohne auf etwas von Wert zu stoßen. „Kein Gold, keine Edelsteine, kein Geschmeide! Haben die denn nichts von ihren Klunkern hiergelassen?“, schimpfte er. „Was seid ihr eigentlich für welche?“ donnerte er dem verschwundenen Volk entgegen. „Anderenorts besitzt man wenigstens den Anstand, seinen Göttern wertvolle Opfergaben darzubieten, damit sich Götter oder eventuell vorbeikommende Dwarks daran gütlich tun können!“

Doch dann betrat er eine Halle, die sein Interesse weckte. Dem Eingang gegenüber befand sich ein reich verziertes Gebilde, das Hadin an einen Altar erinnerte. Die eigentliche Attraktion befand sich jedoch direkt vor dem Altar. Dort stand, umgeben von einem geheimnisvoll warm wabernden Licht, dessen Ursprung der Dwark nicht bestimmen konnte, ein Wesen, das ganz so aussah, wie die Statuen am Eingang des Tempels. Nur, dass dieses Wesen nicht aus einem Stein herausgehauen worden war, sondern lebensecht wirkte. Diese Schwanenflügel-Vogelfrau schien tief und fest zu schlafen. Ihr graziles Gesicht zeigte eine in sich tief ruhende Entspannung, ihr voller Mund formte ein kaum wahrnehmbares Lächeln, so als wäre sie in einem glückverheißenden Traum erstarrt, und ihre großen Augen waren hinter sanft heruntergezogenen Lidern verdeckt. So stand sie da, wie ihre Verwandten aus Stein. Unbeweglich und still. Im vollkommenen Vertrauen, dass ihr hier kein Leid geschehen wird.

„Hey da!“ Hadin stand jetzt direkt vor ihr. „Bist du tot, oder lobpreist du den Gott der Tiefenentspannung?“ Natürlich bekam er keine Antwort und er hatte auch keine erwartet. Trotzdem stand er eine Weile vor dem Wesen, als wollte er sich vergewissern, dass sie ihm auch wirklich nichts vorspielte. Da Hadin aber nicht nur großes Misstrauen, sondern auch unheimliche Neugier auszeichnete, begann der mit dem Zeigefinger den Lichtstrahl zu schneiden.

Plötzlich durchfuhr ein Blitz die alte Halle, so grell, dass er Hadin blendete. Er schrie überrascht auf, zog seinen Hammer zu sich und entweihte die heiligen Räume mit unsäglichen Verwünschungen. Er rieb unter Flüchen seine Augen, als könne er damit seine Sehkraft wieder herbeizaubern, während er mit dem anderen Arm den Kriegshammer kraftvoll und elegant um sich schwang, um vermeintlichen Gegnern meisterhaft geschmiedeten Stahl über den Pelz zu ziehen.
Aber nach wenigen Augenblicken kehrte sein Augenlicht zurück, und es gelange ihm einen verschwommenen Blick auf das geflügelte Wesen zu werfen. Es stand immer noch bewegungslos da, doch als Hadins Blick sich weiter schärfte, erkannte er, dass ihre goldenen Augen weit geöffnet in die Ferne starrten. Hadin erschrak abermals. Das hatte er nicht erwartet.

„Wer bist du?“ fragte die Vogelfrau.
Der Dwark sah sich kurz verdutzt um. War die Frage wirklich an ihn gerichtet? Natürlich! An wen denn sonst? Nun blickte sie ihn direkt an.
„Du bist kein Fealenar!“ stellte sie nüchtern fest.
„Da hast du verdammt recht!!“ erwiderte Hadin wirsch. „Ich bin ein Dwark, und Dwarks schätzen es nicht, wenn sie auf diese Weise veralbert werden. Hast Glück, dass du nicht Bekanntschaft mit meinem Hammer gemacht hast.“ Hadin deutete auf den Stahl, der schon unzählige Leben beendet hatte.
Das Wesen hob verwundert die dünnen Brauen. „Wieso sollte ich denn Bekanntschaft mit deinem Hammer machen?“ Aber dann leuchteten ihre Augen. „Natürlich! Bitte verzeih! Du besitzt einen beseelten Hammer. – Hallo lieber Hammer von Dwark. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen“.

Eins stand für Hadin fest: Das zierliche Fräulein hatte sie nicht mehr alle. Davon abgesehen schien sie nichts Böses im Schilde zu führen. Fast war er ein bisschen enttäuscht. Er hätte nichts gegen eine anständige Rauferei gehabt. Und etwas Wertvolles schien sie auch nicht zu besitzen. Nicht den geringsten Schmuck. Nur ein luftiges Gewand, das vergeblich ihren Körper zu verhüllen versucht. So verlor er schnell jedes Interesse.
Das Vogelfräulein sah sich um. „Wo sind die Fealenar? Wo sind meine Freunde? Es sieht so aus, als wären die Hallen schon lange verlassen. Wie lange habe ich geschlafen?“
„Keine Ahnung! Hab’ meine Zeit lang genug in diesem armseligen Gemäuer vertrödelt. Also mach’s gut, komische Schwanenfrau!“ Damit wandte er sich zum Gehen.
„Warte!“ rief sie ihm nach. „Suchst du denn nicht nach dem arkanen Wissen das hier verborgen ist? Fragst du denn gar nicht, wer ich bin?“
„Mich interessieren nur Schätze!“ entgegnete der Krieger, ohne stehen zu bleiben.
„Schätze? Was ist das?“

Auf diese Frage hin musste Hadin prüfen ob sein Herz noch schlug, so sehr schockte ihn das, was er hörte. Er zuckte zusammen und blieb stehen. Konnte es tatsächlich Lebewesen geben, die nichts von der Schönheit blinkender Metalle oder leuchtender Steine wussten, oder wollte ihn die Schwanenfrau nur auf den Arm nehmen? Er drehte sich um und grollte sie an: „Bist du eine von diesen schwindligen Baumstreichlern und Blumenschmusern, denen nur der Sinn nach der schööönen der Natur steht?
Juwelen, Edelsteine, Preziosen! Das meine ich mit Schätzen – Und natürlich Gooold!“
„Ach! Das Zeug! … Das gibt es hier in rauen Mengen“.
„Was!? Wo??“ Hadin schoss zu ihr hin und packte sie an den Schultern. Sollte er doch nicht vergebens in diesen Ruinen herumgestolpert sein?
„Unter normalen Umständen würde ich es dir nicht sagen, da es sich um den Besitz der Fealenar handelt.
Du hast mich jedoch befreit und ich will nicht undankbar sein. Wenn du dich für derartige Gegenstände interessierst, kann ich dich zu einer geheimen Kammer führen.“
„Dann mal hin!“

***

Sogleich machten sie sich auf den Weg, tief hinab in die unteren Ebenen.
„Ich heiße übrigens Sybjin und gehöre zum Volk Goominey. Du wirst dich jetzt sicher fragen, wer die Goominey sind, nicht wahr? – Nun! Wir sind Gesandte der hellen Ebenen. Normaler Weise leben wir …“
„Dauert’ s noch lang?“
Sybjin seufzte. Dieser kleinwüchsige, grimmige Mann interessierte sich scheinbar nicht für andere Völker, – weder für das ihre, noch hatte er nach den Fealenor gefragt, obwohl er die sicher auch nicht kennt. Sein einziges Augenmerk gilt irgendwelchem Krempel. Sie beide würden wohl keine Freunde werden, was sie überaus bedauerte, da sie gerne Freundschaften schloss. „Nur noch eine Biegung. Dann sind wir am Ziel!“

Kurz darauf blieb Sybjin vor einer unscheinbaren Stelle im Gang stehen. Sie klopfte drei Mal an die feuchte Mauer und wisperte dabei einen kleinen Spruch in ihrer Sprache. Sogleich schoben sich die Steine dröhnend beiseite und gaben einen schmalen Einstieg frei.
„Dort unten!“ sagte Sybjin und stieg die Treppen hinab.
Hadin folgte ihr, immer noch mit Hammer und Fackel gerüstet und gab acht, dass er in keine Falle stolperte.
„Am Ende der Stufen ist die Kammer der ‚Schätze‘, wie du es nennst.“
So betraten sie die Kammer. Hadin leuchtete mit seiner Fackel durch den stickigen Raum. Bei dem Anblick rümpfte er die Nase.

„Schätze? Nein! Sowas nenne ich Ungeziefer, faules Wasser und Dreck!“ Wohin er auch leuchtete, mehr war in der modrigen Kammer nicht zu finden. „Hör gut zu, Schwan! Ich sag’ dir jetzt mal was über unser Volk: Es ist ungesund, einen Dwark hinters Licht zu führen. Ganz besonders dann, wenn der Dwark Hadin Donnerklippe heißt!“
„Ich verstehe das nicht! Hier waren viele hübsch glänzende Sachen. Die Fealenar müssen wohl alles mitgenommen haben.“
Hadin sah Sybjin abschätzen an. Es schien ihm, als würde sie die Wahrheit sagen. Also nickte er nur enttäuscht. „Leuchtet ein! Vermutlich haben ich und diese Fealedingsda doch was gemeinsam.“
„Ja, vermutlich! Das war wirklich dumm von mir. Tut mir leid, dass …“ Plötzlich wandte Sybjin den Kopf nach recht. „Warte mal! Leuchte bitte da rüber!“ Sie deutete in ihre Blickrichtung.
Hadin seufzte. Schlimmer konnte dieser Tag ohnehin nicht werden. Er schritt nach rechts, und tatsächlich fiel das Licht auf drei Gegenstände, aufgebahrt auf Podesten: Der erste ist ein kleiner Kelch aus Milchglas, durchzogen von dünnen Rissen, der zweite sah aus wie ein brauner Lumpen, den Hadin erst bei näherem Hinsehen als grobes Säckchen identifizierte und der dritte ist ein dünner Holzstecken, gerade mal so lang wie Hadins Unterarm.

„O was für ein Glück!“ freute sich Sybjin. „Die prächtigsten Schätze sind noch da!“
Hadin gribbelte es in den Händen. Würde ihr Kopf seinem Hammer standhalten? „Ein Saufpot, ein Lappen und ein Stock nennst du ‚prächtige Schätze‘! Wir beide haben ein Verständigungsproblem“.
„Ja verstehst du denn nicht? Das sind Geschenke der Sertimen, eurer Götter an die Fealenar.“
„Wenn deine Fealenar so prääächtige Geschenke von den Göttern erhielten, müssen die Götter sie aber unheimlich liebgehabt haben“, stichelte Hadin.
„Ich erkläre es dir: Das ist der Gral der Lebenskraft. Trink daraus! So wird dir keine Krankheit leid zufügen. – Und das hier…“ Sybjin deutete auf den Sack. „… das ist der Beutel des Erdherzens. Der wird dir besonders gefallen. Jedes Mal wenn du hineingreifst, wirst du einen schönen Edelstein hervorziehen. – Und zu guter Letzt, das Grenzenlose Zepter! Zugegeben, vom Aussehen her gleicht es eher einem abgestorbenen Ast. Wer es aber sein Eigen nennt, dem gehören alle Reiche deiner Welt.“

„Du meinst, mit dem Stock da, werde ich nicht nur König der Dwarks, sondern ich werde zum Beispiel auch über das Kaiserreich der Menschen herrschen, und sogar über das Reich des finsteren Volkes im Süden?“
„Ganz recht!“
„Und wenn ich ein süffiges Bierchen aus diesem Kelch weggurgle, bleibe ich quietschfidel und kerngesund, selbst wenn ich aufgequollene Ratten aus der Straßenrinne fresse?“
„Du begreifst schnell!“
„Wenn ich aber meine Hand in diesen Kartoffelsack stecke, ziehe ich jedes Mal einen stattlichen Klunker raus, egal wie oft ich rein greife?“
„Es sind sehr wertvolle Geschenke.“
„Gar nicht übel!“
„Allerdings gibt es einen kleinen Haken: Man hat diese Gaben den Fealenar als Ganzes anvertraut. In der Hand eines einzelnen Wesens wären sie viel zu mächtig. Das siehst du doch sicher ein. Daher kann ein Individuum immer nur ein Artefakt vom Sockel nehmen. Sobald er es hat, lassen sich die beiden übrigen nicht mehr bewegen, zumindest nicht von euch.
Für meine Erweckung möchte ich dir eins davon schenken. Tu damit, was dir beliebt. Die beiden anderen nehme ich wieder mit, zu meinen Gefilden. Die Fealenar sind nicht mehr. Ich weiß zwar nicht, was mit ihnen geschehen ist, aber das zu erkunden ist nicht meine Aufgabe. Diese Artefakte wurden eigentlich zu ihrem Schutz hinterlassen. Doch sie haben sie nie verwendet – warum auch immer. … Also? Für welches entscheidest du dich?“

***

Hadin begleitete Sybjin noch bis zum Eingang des Tempels. Nach seiner Antwort hatte der Dwark nicht mehr gesprochen.
„Nun ist es Zeit Abschied zu nehmen, Hadin Donnerklippe“, sagte Sybjin. „Darf ich dich vorher nach dem Grund deiner Entscheidung fragen? Ich würde es gerne verstehen“.
„Sieh mal! Hätte ich das Zepter genommen, hätte ich nur Ärger am Hals gehabt. Soll ich Völker beherrschen, deren Traditionen und Verhalten mir im Grunde fremd sind? Was würde ein solcher Herrscher taugen? … Zudem! Wenn ich sehe wie unser König – die Götter mögen seine Bierfässer segnen – sich ständig mit Vertretern unserer Clans herumschlagen muss, komme ich zum Schluss, dass Regieren nichts für mich ist. Herrscher sind nur Gefangene ihrer Macht“.
„Verstehe! Und das zweite Artefakt?“
„Der Gesundheitsgral? Dwarks sind sehr robust. Außerdem! Für immerwährende Gesundheit sorgt bereits mein Hammer, besonders wenn ich die Köpfe meiner Feinde damit massiere“, lächelte Hadin schadenfroh und tätschelte seinen Hammer.
„Aber warum hast du auch den Beutel des Erdherzens abgelehnt. So wie du dich benommen hast, wäre der doch genau das Richtige für dich gewesen“.
„Na ja, stimmt schon! Für einen Augenblick wollte ich schon zugreifen. Denn ich bin ein Dwark, und welcher Dwark könnte schon dem Anblick von Reichtümern widerstehen. Doch Reichtümer, die wir so lieben, sind für uns deshalb so wertvoll, weil sie selten sind, und schwer verdient sein wollen. Edelsteine schürft man entweder mühsam aus dem Berg oder man erbeutet sie bei gefahrvollen Questen. Sie einfach aus dem Sack zu ziehen, würde bei mir auf Dauer ein schales Gefühl hinterlassen“.
„Das leuchtet mir ein“.
„Vielleicht dachten deine Fealenar genauso, wenn sie die Artefakte nie genutzt haben“.
„Ja, vielleicht“, lächelte Sybjin. Dann faltete sie ihre Flügel aus. „Nun muss ich gehen. Ich wünsche dir ein erfülltes Leben, Hadin Donnerklippe“. Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug sie mit den Flügeln aus und schwang sich empor. Zuerst langsam, dann immer schneller, und zum Schluss war Sybjin schneller als jeder Raubvogel, den Hadin kannte.
Der Dwark-Krieger blickte ihr gedankenverloren nach, bis sie zu einem kleinen Lichtpunkt zusammengeschrumpft war. Er wollte schon seinen Hammer schultern und den Rückweg antreten, als links hinter ihm ein Grollen ertönte. Kleine lose Steine klackerten zu Boden. Hadin fuhr herum. Eine Jagdgruppe Steinschrate hatte sich unauffällig genähert.
„Futtaaa!“ brüllte einer der Unholde, die fast doppelt so groß waren, wie der Dwark. Sie trugen stumpfe Waffen, Keulen und Klingen.
Hadins Miene hellte sich auf. „Ja, Leute! Futter! Kommt und holt es euch!“ Am Ende hatte sich die Reise wenigstens ein bisschen gelohnt. Zwar gab es in den Ruinen nichts zu erbeuten, aber diese Burschen würden wenigstens dafür sorgen, dass er beim Kämpfen nicht aus der Übung kam.
Die Steinschratte brüllten zum Angriff und auch Hadin schrie ein Triumpfgeheul, als er mit schwingendem Hammer auf die Schrate zusprang.

König sein, ewige Gesundheit oder geschenkter Reichtum, all das ist nicht nach Hadins Geschmack. Er ist ein Abenteurer, – ein Krieger. Und während er in den Kampf sprang fühlte er sich lebendig.

Fußnoten:

(1) Dwarks: Kleinwüchsiges aber stämmiges Volk. Vor allem in Bergen beheimatet. Bekannt für Schmiedekunst. Dwarkstämme leben entweder in ausgedehnten Höhlen, oder in, von Bergen umringten Steinhaus-Dörfern.

Überarbeitet Sagenhorn Poing, Juni 2023 / Erstfassung Sagenhorn München, 06.02.2008

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Über Michael Sagenhorn

Im bürgerlichen Leben: Michael Schnitzenbaumer, lebt in Poing bei München, mit seiner Frau Steffi und seinen beiden Kindern Tatjana und Sebastian. Beruflich ist er als Webentwickler tätig, und natürlich auch als Grafiker und Illustrator. Neben den Hobbys 'Fotografie', 'Reisen und 'Kochen' liest er für sein Leben gerne phantastische Romane. Sofern es seine Zeit zulässt, spielt er auch mal gern ein Computerspiel. Was ich mag! Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Empathie, Romantik - Ohrenstöpsel und Tante Gretels Apfelkuchen. Was ich nicht mag! Verrat, Geldgier (obwohl ich gegen Geld oder Reichtum gar nichts einzuwenden habe), Egomanie - früh aufstehen.

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