Michael Sagenhorn/ Januar 4, 2023/ Horror, Kino und Film/ 0Kommentare

2008 / FSK 16 / 1h 50 min

Neben Werwölfen, Mumien und dem Frankensteinmonster gehören Vampire zu den klassischen Vertretern des Horrors. Spätestens seit Bram Stokers Roman Dracula, der 1897 veröffentlich wurde, sind die Blutsauger aus unserer Geschichtenkultur nicht mehr wegzudenken.
Als die Bilder laufen lernten, haben Vampire auch die große Leinwand erobert. Zu den ersten Vampirfilmen zählt The Vampire von 1913, damals noch nicht mit untoten Monstern, sondern mit einer realitätsnahen Femme Fatale. Seitdem verfolgen uns die charismatischen Untoten in Kinos und aktuell auch auf Streaming-Plattformen, mit einem unstillbaren Durst nach Aufmerksamkeit. Allein Dracula wurde über 170-mal adaptiert.


Dementsprechend ungerührt ist daher manch altgedienter Fan des Phantastischen, wenn ein frischer Vampirstreifen mit großem ‚Trara‘ angekündigt wird. Schulterzuckend nehmen wir die Werbung zur Kenntnis, die die ‘beste Vampirstory ever‘ verkündet.

Im Laufe der Zeit habe ich viele gute – und noch mehr belanglose Vampirfilme gesehen. Gerade von Werken letzterer Art werden wir in regelmäßigen Zeiträumen immer wieder überflutet.
Aber es gibt auch hervorzuhebende Vertreter dieser Sparte. Dazu zählen für mich u.a. Interview mit einem Vampir, From Dusk Till Dawn, Near Dark, Lost Boys, Lifeforce.

Alles bekannte Filme. Warum für mich das kleine schwedische Horror-Drama So finster die Nacht ebenfalls zu den großen, wirklich sehenswerten Vampirfilmen gehört, möchte ich hier erörtern.

Handlung
Der 12jährige Oskar (Kåre Hedebrant) lebt nahe Stockholm in einer Wohnblocksiedlung, deren triste Atmosphäre durch die winterliche Kälte noch verstärkt wird. Sein isoliertes Leben ist durchdrungen von Rachefantasien, weil er in der Schule unentwegt von anderen Jungen gemoppt wird. Freunde hat er keine, seine Eltern leben getrennt, seine Mutter nimmt sich für ihn kaum Zeit.


Eines Nachts durchbricht die Begegnung mit einem gleichaltrigen Mädchen Oskars Alltagsroutine. Auf dem Spielplatz lernt er Eli (Lina Leandersson) kennen, die gerade mit ihrem vermeintlichen Vater in die Nachbarschaft gezogen ist. Und obwohl Eli sich äußerst seltsam benimmt, fühlt sich Oskar sofort zu ihr hingezogen. Nach und nach gibt auch Eli ihre anfängliche Zurückhaltung auf, und zwischen den beiden einsamen Kindern entsteht das zarte Band einer Freundschaft, die immer tiefer wird – bis Oskar versucht mit Eli Blutsbruderschaft zu schließen. Als er seine Hand aufschneidet kommt Elis wahrer, tödlicher Kern zum Vorschein…

Ein gesellschaftliches Drama
Die Lebenden zeigen wenig Interesse an Oskar. Das Verhältnis zwischen ihm und den Eltern ist von tiefen Gräben durchzogen. Die einzige Aufmerksamkeit, die Oskar in der Schule erhält, sind Gängelungen durch seine Mitschüler.

Um ein bisschen zwischenmenschliche Wärme zu erfahren, benötigt Oskar das Vampirmädchen Eli. Doch sie gehört noch weniger in diese Welt. Ständig auf Wanderschaft, damit sie nicht entdeckt wird, zieht sie, verdammt zur Unsterblichkeit, umher – vorüber an den Menschen, die ihr bei ihrer Reise begegnen, ohne dass sie eine Bindung zu ihnen eingehen kann. Menschen sind für sie hauptsächlich Nahrung. Ihr Interesse an neuen Bekanntschaften ist normalerweise selbstverständlich gering.

Gerade deshalb entwickelt sich zwischen den Einzelgängern Eli und Oskar so eine innige Freundschaft. Der Film bringt uns diese Freundschaft in ruhigen, tiefen Bildern näher. Die innere Herzenswärme die Eli und Oskar füreinander empfinden, steht im starken Kontrast zu den grauen, schneebeladenen Bildern eines eisigen Winters. Hin und wieder möchten wir sogar vergessen, dass Eli ein Vampir ist. In diesen kurzen Momenten haben wir ein gefühlvoll inszeniertes Sozialdrama vor uns.

Der Vampir im Kinderkörper
‚Kindervampire‘ tauchen immer wieder in diversen Horror-Schockern und Thrillern auf. In Near Dark muss sich Homer damit abfinden, dass er für ewig im Körper eines Kindes steckt, obwohl er schon lange erwachsen ist, – raucht und tötet, wie es ihm passt. Ein bekannteres Beispiel ist Claudia aus Ein Interview mit einem Vampir. Dieses unschuldig aussehende, goldgelockte Engelchen ist eine gefährliche, durch und durch reife Jägerin.

Und Eli? Am besten beschreibt es eine Szene in der Oskar sie fragt, ob sie wirklich erst 12 Jahre sei. Sie sei 12 Jahre, antwortet Eli. Aber das sei sie schon sehr lange!

Elis Alter kennen wir nicht, aber sie hat nach wie vor das Gemüt eines jungen Teenagers. Wo andere Kindervampire während ihrer Lebensspanne weiter gereift sind, scheint bei Eli dieser Prozess zumindest viel langsamer abzulaufen. Eli ist klug, aber unerfahren.
Als Oskar sie frägt, ob sie mit ihm ‚gehen‘ will, lehnt Eli zuerst ab. Dann aber denkt sie kurz nach und fragt Oskar: „Was würde sich zwischen uns ändern, wenn ich mit dir gehe?“ „Nichts“, meint Oskar. Damit willigt Eli am Ende doch ein.

Erst durch diesen Umgang auf Augenhöhe gibt die Geschichte überhaupt Sinn. Sie würde nicht funktionieren, wenn Eli im Inneren erwachsen wäre. Diese Freundschaft ist auch für Eli etwas Neues. Trotz ihres Alters ist die Beziehung zu Oskar keine exakte Wiederholung einer Beziehung, die sie schon mal mit einem anderen Menschen geführt hatte. Das macht auch u.a. die oben beschriebene Szene klar.
Zudem lernt sie durch Oskar ihre Vampirnatur besser kennen, z.B. wenn sie zum ersten Mal ohne Einladung eine Wohnung betritt. Hier ist Eli auch bereit, für diese Freundschaft zu leiden.

Schonungsloser Horror
Trotzdem beleuchtet die Story regelmäßig Elis unheimlichen Kern. Vampire werden nicht weichgespült, oder gar romantisiert. Auch Eli ist eine Femme Fatale, eine Jägerin und Killerin. Beschönigt wird nichts.

So führt uns die Handlung auch zu einer Szene, in der schonungslos offengelegt wird, welch grauenhafter Lohn unter Umständen auf jene Menschen wartet, die sich gefühlsmäßig zu sehr an Eli binden.
Einige typische Aspekte des Vampirhorrors, z.B. die Wirkung von Sonnenlicht auf Vampire, werden hier ebenfalls effektvoll und drastisch inszeniert. Eli verströmt den Geruch des Todes, was auch Oskar auffällt, obwohl er diesen Duft nicht einordnen kann.

Die US-amerikanische Neuverfilmung
So finster die Nacht hat in den USA zumindest für so viel Aufsehen gesorgt, dass 2010 eine US-amerikanische Fassung gedreht worden ist, unter dem Titel Let Me In. Eigentlich sind solche Neuverfilmungen nur selten erwähnenswert, weil sie dem Stoff nichts Neues hinzuzufügen haben, und zumeist nicht annähernd an das Original heranreichen.

Doch bei dieser Neuverfilmung kann ich zumindest eine Empfehlung aussprechen, für den Fall, dass das schwedische Original nicht erhältlich sein sollte. Mir persönlich gefällt Let Me In fast genauso gut, wie das Original.

Fazit
Horrorfans und Vampirfreunde kommen bei So finster die Nacht sicher auf ihre Kosten. Trotz der stellenweise brutalen Szenen, bleibt der Film aber nicht an der Oberfläche der Gewalt, sondern taucht hinab in die Psyche der Menschen.
Wie so oft, ist nicht nur der Vampir das Monster, – sondern auch die tröge Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft, die nur zu gerne Aussteiger und Außenseiter vergisst, vernachlässigt und meidet.

So finster die Nacht ist auf Blu-Ray erhältlich, und kann kostenlos mit Werbung auf Freevee gestreamt werden.

Artwork: © Michael Sagenhorn 2022

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Über Michael Sagenhorn

Im bürgerlichen Leben: Michael Schnitzenbaumer, lebt in Poing bei München, mit seiner Frau Steffi und seinen beiden Kindern Tatjana und Sebastian. Beruflich ist er als Webentwickler tätig, und natürlich auch als Grafiker und Illustrator. Neben den Hobbys 'Fotografie', 'Reisen und 'Kochen' liest er für sein Leben gerne phantastische Romane. Sofern es seine Zeit zulässt, spielt er auch mal gern ein Computerspiel. Was ich mag! Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Empathie, Romantik - Ohrenstöpsel und Tante Gretels Apfelkuchen. Was ich nicht mag! Verrat, Geldgier (obwohl ich gegen Geld oder Reichtum gar nichts einzuwenden habe), Egomanie - früh aufstehen.

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