Die kleine Meerjungfrau gehört zu den bekanntesten Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen. Dank Walt Disney Studios hat das, auf der Sage von Undine (jungfräulicher Wassergeist) basierende Märchen von 1837, erheblich an Popularität gewonnen.
Handlungsübersicht aller Versionen
Es geht um eine kleine Meerjungfrau, die fasziniert ist, von der Welt der Menschen. Eines Tages rettet sie einen Prinzen vor dem Ertrinken. Dabei verliebt sie sich in ihm. Um ihm nahe zu sein, schließt sie einen Pakt mit der Meereshexe. Sie tauscht ihre Stimme gegen Beine ein. An Land angekommen, muss sie das Herz des Prinzen gewinnen. Geling ihr das nicht, bezahlt sie für ihr Scheitern einen hohen Preis…
Hitzige Diskussionen um den neuen Film
Die Disney-Realverfilmung von 2023 hat geradezu dazu eingeladen, das Feuer leidenschaftlicher Diskussionen zu entfachen. Ein Anzünder, der wie Spiritus auf einem Kohlegrill wirkt, ist die Tatsache, dass die kleine Meerjungfrau im Remake von einer dunkelhäutigen Schauspielerin verkörpert wird.
Manche Gegner der schwarzen Meerjungfrau argumentieren u.a., dass eine solche Darstellung nicht der nordischen Wurzel der Geschichte entspräche, zudem warf man ein, dass Meerjungfrauen nicht schwarz sein können, da sie – wo auch sonst – im Meer leben.
Befürworter halten dagegen, dass es sich hierbei um ein Märchen handle, und Meerjungfrauen Fantasiewesen seien, da können sie auch gerne die unterschiedlichsten Hautfarben haben.
Im Zuge dieser engagierten Diskussionen wurde auch die Geschichte Andersens immer wieder als Referenz herangezogen, und dabei teilweise so unglücklich entstellt, dass ich mich hin und wieder tatsächlich ärgern musste. Haben diese Leute das Märchen überhaupt gelesen, und wenn ja, haben sie es verstanden? Wenn nicht, warum plappern sie Unsinn über eine Geschichte, die sie nicht kennen?
Oft hatte ich das Gefühl, hier wurden nur Sätze wiedergekäut, die sie wo anders aufgeschnappt hatten. Und diese Quellen haben sich dann wiederum anderer Quellen bedient, die es auch nicht besser wussten.
In diesem Artikel geht es mir darum, die Ehre dieses Märchens wiederherzustellen, indem ich dessen zeitlose Botschaften beleuchte. Ein Märchen, das schon damals klar den Gedanken der Emanzipation in sich aufgenommen hat.
Und was hat Disney daraus gemacht? Dazu gehe ich im unteren Teil meines Artikels ein. Achtung! Hier wird es zu Spoilern über die Geschichte und die Filme kommen!
Andersons Märchen – Wie man über sich selbst hinauswächst
Um es gleich vorweg zu nehmen: Stellenweise ist die Original-Geschichte tatsächlich ziemlich grausam. Der kleinen Meerjungfrau wird die Zunge herausgeschnitten. An Land fühlt sich jeder Schritt an, als ginge sie auf scharfen Messern. In moderneren Kinderbüchern wurden diese Passagen entschärft. Heute ist dieses Märchen auch in Versionen erhältlich, die auch von den jüngsten Zuhörern bedenkenlos konsumiert werden können.
Die PR des Disney-Film-Remakes legte großen Wert darauf, uns zu vermitteln, dass die kleine Meerjungfrau nicht nur wegen des Prinzen Festland betritt, sondern auch davon losgelöste Interessen eine wichtige Rolle spielen. Das wird uns dann als großer Meilenstein in der Geschichtenerzählung einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft verkauft.
Nur! Schon in der Geschichte von 1837 stand nicht allein der Prinz im Mittelpunkt, sondern es gab ein zweites, ebenso starkes Motiv, an Land zu gehen. Für die Original-Geschichte müssen wir zuerst festhalten, dass Andersen in seine Märchen oft starke christliche Motive eingeflochten hat. Wahrscheinlich war er selbst ein sehr gläubiger Christ. Darauf lassen zumindest etliche seiner Märchen schließen.
In Die kleine Meerjungfrau sehnt sich die abenteuerlustige Nixe zwar nach ihrem geliebten Prinzen, aber zudem begehrt sie auch eine eigene Seele. In diesem Märchen werden Meermenschen zwar sehr alt, doch nach ihrem Tod verwandeln sie sich in Meerschaum und vergehen, während den Menschen nach ihrem Tod ein Weiterleben aufgrund ihrer Seele gewährt wird.
Der Wunsch nach einer eigenen Seele entbrennt in der Nixe genauso stark, wie der Wunsch nach dem Prinzen. Eine Seele könne sie aber nur erhalten, wenn der Prinz sich ebenfalls in sie verliebt. Ist seine Liebe aufrichtig, würde ein Teil seiner Seele auf die Nixe übergehen. In diesem Fall könnte auch sie nach dem Tode weiterleben.
Das Märchen hebt immer wieder hervor, dass es der Nixe nicht ausschließlich um den Prinzen geht, sondern der Wunsch nach einer eigenen Seele den gleichen Stellenwert besitzt. Daher sind Behauptungen in Diskussionen falsch, die die Geschichte so darstellen, als würde das einzige Lebensglück der Nixe daraus bestehen, einen Mann fürs Leben zu gewinnen. Diese Interpretation ist viel zu oberflächlich.
Noch befremdlicher sind Behauptungen über das Ende der Geschichte: Im traurigen Ende löse sich die Meerjungfrau aufgrund ihrer nicht erwiderten Liebe in Meerschaum auf und stirbt. Ich musste feststellen, dass das oft die allgemeine Annahme über das Ende ist, bei jenen, die die Geschichte nur oberflächlich kennen.
Ebenso falsch ist die Aussage, in der Original-Geschichte wolle die Nixe den Prinzen wegen verschmähter Liebe mit einem Dolch erstechen.
Was geschieht am Ende nun wirklich?
Ich beschränke mich auf die relevanten Punkte. Am letzten Tag ihres Lebens muss die Nixe erkennen, dass sie keine Chance mehr hat, ihren Prinzen für sich zu gewinnen. Der Prinz heiratet eine andere Frau, keine Meerhexe wie im Disneyfilm, er wird auch nicht verhext, sondern entscheidet sich aus freien Stücken für seine Braut. Die Nixe, die der Prinz liebt, als wäre sie seine Schwester, darf bei der Hochzeit dabei sein. Diese findet auf einem Schiff statt.
An jenem letzten Abend erhält sie den besagten Dolch von ihren Schwestern. Die Schwestern flehen sie an ihn zu nutzen, damit sie wieder bei ihnen sein kann. Würde die Nixe diesen Dolch ins Herzen des Prinzen stoßen, und sein Blut auf ihre Füße tropfen, würden sich diese sich wieder in Flossen verwandeln und sie könnte zurück ins Meer, zurück zu ihren Schwestern, ihrem Vater und ihrer Großmutter.
Die Nixe nimmt zwar den Dolch, sieht dann auf das schlafende Paar (Prinz und Braut), schleudert anschließend den Dolch aber so weit sie kann ins Meer. Gleich darauf stürzt sie hinterher und löst sich in Meerschaum auf. So weit so gut.
Doch damit endet das Märchen ja nicht, wie jeder weiß, der das Märchen tatsächlich gelesen hat. Die kleine Meerjungfrau stirbt nicht, sondern sie erhebt sich wieder aus den Fluten, und schwebt in der Luft. Um sie herum fliegen ihre neuen Schwestern.
Da sie so für ihre Ziele gekämpft und gelitten hat (das Leiden hat hier eine ganz andere Bedeutung, durch die erlittenen schweren Qualen), und ihre Liebe zum Prinzen aufrichtig war (sein Glück war ihr wichtiger, als ihr eigenes Leben) ist sie zu einem Luftgeist aufgestiegen. Zwar haben auch Luftgeister keine eigene Seele, wie sie von den anderen Luftgeistern erfährt, doch im Gegensatz zu Meerjungfrauen können sich Luftgeister eine Seele selbst verdienen, wenn sie während ihrer Zeit auf Erden gute Taten vollbringen.
So hat die kleine Meerjungfrau am Ende eine Chance erhalten, sich aus eigener Kraft eine Seele zu verdienen, anstatt von der Seele eines Menschen abhängig zu sein.
Meines Erachtens ist diese Geschichte weit von dem traurigen Ende entfernt, das ihm häufig angedichtet wird. Im Gegenteil! Das Ende bedeutet Hoffnung, dass auch schwer erreichbare Wünsche sich erfüllen können. Jedoch nicht, wenn wir alles auf einem Silbertablett serviert bekommen möchten. Für manche Ziele muss man leiden, über sich selbst hinauswachen, verzichten können – auch auf Dinge die man von ganzen Herzen liebt.
Die kleine Meerjungfrau muss zwar auf ihren Prinzen verzichten, aber sie hat sich aus eigener Kraft zu einem Luftgeist erhoben, und kann jetzt aus eigener Kraft eine Seele erlangen. Damit ist sie in dieser originalen Geschichte emanzipierter als in beiden Disney-Filmen zusammen. Für mich ein durch und durch positives Ende, wenn man bedenkt, dass auch der Prinz seine wahre Liebe findet.
Besonders hervorheben möchte ich einen gleichnamigen Bildband, zu dem Märchen, der mir sehr, sehr gut gefällt:
Das reich bebilderte Hardcover-Buch mit den wunderschönen Illustrationen von Anton Lomaev ist im Wunderhaus-Verlag erschienen. Die Geschichte ist nahezu original wiedergegeben. Zudem versteht es Anton Lomaev meisterhaft, Andersons Märchen in ebenso märchenhafte Bilder zu kleiden.
Arielle – Die Disney-Filme im Vergleich
Natürlich ist die Suche nach einer eigenen Seele nichtmehr zeitgemäß. Und da es Disney nicht gelungen ist, einen würdigen Ersatz dafür zu finden, blieb am Ende nur der Prinz als einzige große treibende Kraft, das Meer aufzugeben und die fremde Welt der Menschen zu erforschen.
Geben wir der Nixe endlich einen Namen: Arielle, die Meerjungfrau. Für den Trickfilm von 1989 reichte diese Motivation völlig aus. Andersons Geschichte wurde um typische Märchenmotive ergänzt, die wir auch von den Gebrüdern Grimm kennen: z.B. Drei Tage Zeitspanne, der Kuss der wahren Liebe.
Zum Schluss erleben wir ein bezeichnendes Happy End, mit Märchenhochzeit auf dem Meer, und Arielles Vater, König Triton spendiert dem Brautpaar einen malerischen Regenbogen. Wir erleben Arielle als weiße Braut und einen schneidigen Prinzen in Uniform. Sie küssen sich zum glücklichen Abschluss. Schön!
Überraschend für diesen Disney-Trickfilm war der moderne Anstrich der Geschichte, der trotzdem in einem zeitlosen Gewand daherkommt. Arielle ist ein frecher, abenteuerlustiger Teenager, der schon mal die Zeit vergisst, und sich gegen den Vater behaupten muss. Ein Generationenkonflikt, jenseits einer bösen Stiefmutter ist mal erfrischend. Auch die Meerhexe ist ein außergewöhnlich düsterer Antagonist, der zumindest in der deutschen Fassung für Disneywerke ungewöhnlich erwachsene Aussagen triff, und nicht mit Reizen geizt, wenn es darum geht Erik zu verhexen. Zum Ende hin wird es für Disneymaßstäbe sogar gruselig, wenn die Meerhexe die Ausmaße eines Titanen annimmt. So ein Bösewicht macht Spaß.
Kurzum: Der Trickfilm ist ein unterhaltsamer Märchenfilm für die ganze Familie, der auch jenseits seiner Zielgruppe Begeisterung zu wecken vermag. Disney hat hier Mut bewiesen, und die Rechnung ist aufgegangen. Der Film wurde ein sensationeller Erfolg – und die kleine Meerjungfrau zu einer Ikone unserer Popkultur. Heute assoziieren wir sofort eine Meerjungfrau mit Arielle, sobald sie rote Haare, weiße Haut und grüne Flossen hat.
An diesen großartigen Erfolg hoffte Disney anzuknüpfen, als das Studio das Live-Action-Remake in die Kinos brachte. Der Film wurde ein Flop, wie so oft in letzter Zeit bei Disney. Teilweise kommt es mir aber so vor, als hätten die neuen Macher das Konzept ihrer Vorlage nicht verstanden. Wie ich darauf komme, erkläre ich anhand von ein paar Beispielen.
Song ‚Unter dem Meer‘
Der Ablauf im Trickfilm.
Arielle will die Menschenwelt besser kennenlernen. Die Krabbe Sebastian möchte Arielle aber davon überzeugen, dass die Menschenwelt nichts taugt, und preist die Vorzüge des Lebens unter dem Meer. Dazu stimmt Sebastian ein lockeres Liedchen an, dem Arielle schweigend aber amüsiert lauscht.
Dann taucht Fabius, Arielles kleiner Fischfreund auf und flüstert Arielle etwas ins Ohr. Arielle strahlt darauf wie ein Honigkuchenpferd. Sebastian singt unverdrossen weiter. Er merkt nicht, dass Arielle mit Fabius davonpaddelt. Das Lied erreicht das grandiose Finale, alle Fische wirbeln herum, ‘unter dem Meer‘, und so weiter… Dann erstirbt das Lied mit dem letzten Schlag. Die Fische deuten im Rausch des fröhlichen Tanzes auf jenen Platz auf dem Arielle vor kurzem noch gesessen hat, doch der Platz ist leer. Als letzten Gag meint Sebastian, man müsse dem Mädchen die Flossen am Meeresboden festnageln.
Hier macht alles Sinn, denn in der nächsten Szene erfahren wir den Grund für Arielles Verschwinden. Fabius hat eine Statue von Prinz Erik entdeckt und will sie Arielle präsentieren.
Der Ablauf im Live-Action-Film
In der Neuverfilmung hat Arielle die Statue bereits vor dem Lied entdeckt. Daher taucht Fabius während des Liedes nicht auf. Sebastian, weitaus weniger charmant, weil: überrealistisches CGI-Monster von einer Krabbe, gibt nun sein Liedelein zum Besten. Nochmal: Dieses Lied hat die Aufgabe, Arielle von den Vorzügen eines Lebens unter dem Meer zu überzeugen.
Statt nun schweigend zuzuhören wie in der Vorlage, singt Arielle hier aber irgendwann den Refrain mit. Das verwirrt mich. Denn dieses Mitsingen wird bei anderen Filmen oft als Stilmittel genutzt um zu zeigen, dass die singenden Figuren sich einig sind. Also stimmt Arielle plötzlich Sebastian zu und entsagt der Welt der Menschen? Natürlich nicht! Vielleicht wollte man der Darstellerin eine zusätzliche Möglichkeit geben, uns mit ihrem Gesang zu beglücken. Sehr schön, aber für mich hier völlig fehl am Platz.
Am Ende ist Arielle auch hier verschwunden, was Sebastian zu eben jenem Spruch verleitet. Doch diesmal hat sich Arielle einfach (in Meerschaum?) aufgelöst. Den Grund für ihr Verschwinden bleiben uns die Autoren schuldig. Zuerst singt sie mit Sebastian in trauter Einigkeit, und dann ist sie plötzlich weg? Das Ganze macht überhaupt keinen Sinn, und dient nur dazu, den Gag des Originals anzubringen. Doch so verpufft der Gag ohne Wirkung.
Showdown
Vor der Szene, kurz zur Ausgangslage in den Filmen: Triton steht den Menschen misstrauisch, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Daher verbietet er Arielle, sich mit ihnen einzulassen.
Der Ablauf im Trickfilm:
Hier gelingt es Erik auf ein Schiff zu klettern, und den abgebrochenen Klüverbaum der gigantischen Meerhexe Ursula in den Bauch zu rammen. Damit rettet er Arielle vor Ursula. Die Meerhexe wird aufgespießt und stirbt.
Durch Arielles Rettung kann Erik König Triton beweisen, dass Menschen mehr sein können, als die Teufel, die Triton in ihnen sieht. Er schlägt so eine Brücke der Versöhnung zwischen den beiden Welten. Das ist, nebenbei bemerkt, die einzige aktive Aufgabe, die der Film Prinz Erik zugesteht.
Der Ablauf im Live-Action-Film:
Hier läuft alles genau umgekehrt ab. Scheinbar darf in modernen, weltoffenen Hollywoodproduktionen eine Frau nichtmehr von einem Mann gerettet werden.
Statt Erik erklimmt Arielle das Schiff, robbt sich dort zum Steuerrad mit ihren Flossen, und die in Nautik völlig unausgebildete Nixe steuert trotz Flossen das Schiff zielgenau in den Bauch der Meerhexe.
Hier wird keine Brücke zwischen Menschen und Meeresvolk geschlagen. Am Ende haben sich trotzdem alle lieb. Warum? Weswegen? Weil es halt so ist!
Diese Szene ist auch deshalb umso betrüblicher, weil das Gleichgewicht im Zusammenspiel zwischen Arielle und Erik noch mehr verschoben wird.
Alle die den Film gesehen haben, werden sich erinnern: Arielle hat Erik bereits das Leben gerettet. Und sie hat ihm vor der Hochzeit mit der Seehexe bewahrt und den Bann, unter dem Erik stand, gebrochen.
Im Trickfilm war Eriks Sieg über Ursula, die einzige nennenswerte Tat, die er überhaupt erbringen durfte. In der Live-Aktion-Verfilmung nimmt man dem Prinzen auch diesen Moment.
Vielleicht wegen dem großen Aufschrei einer bestimmten kleinen Personengruppe? Denn ja! Es gab Menschen, die sich über Arielles Rettung durch einen Mann allen Ernstes empört hatten. Obwohl Arielle ganz klar den Film zurecht dominiert – obwohl Erik zweimal von Arielle gerettet werden muss, gibt es tatsächlich eine lautstarke Minderheit, die es anscheinend seelisch nicht verkraften kann, wenn diese Figur, die den ganzen Film über keine nennenswerte Rolle spielt, einen einzigen heldenhaften Moment erlebt. Stattdessen muss Erik nun ein drittes Mal gerettet werden.
Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten warum man diese Szene umgeschrieben hat: Entweder gehören die Macher zu dieser lautstarken Minderheit, oder sie beugen sich dieser Minderheit.
In beiden Fällen sehe ich es als völlig OK, dass der Film finanziell abgestraft wurde.
Diese Konzeptlosigkeit zieht sich durch den ganzen Film
Im Trickfilm wird Arielle nach ihrer Verwandlung von Erik gefunden. Er nimmt sie mit auf sein Schloss. Das macht Sinn.
Im Realfilm wird Arielle von einem Fischer gefunden. Er bringt sie sofort aufs Schloss. Das macht keinen Sinn. Für einen Fischer ist der oberste Herrschersitz sicher nicht die erste Anlaufstelle eine ‚Schiffbrüchige‘ abzuliefern.
Zu Beginn des Trickfilms wird die Meereswelt mit unglaublich schönen Bildern eingeführt. Ein Fisch entkommt den Fischern. Er schwimmt zu der Meerstadt, und wir erleben die Totale vom gewaltigen Palast. Kurz darauf bekommen wir ein Konzert in einem großen Konzertsaal geboten. Hier können wir die Größe der Meereswelt gut erahnen.
In der Realverfilmung bekommen wir den Palast nicht zu sehen. Statt in einer Konzerthalle trifft man sich weit abgelegen an einem einsamen Platz. – Nicht zu einem beflügelnden Konzert, sondern zu einem fantasielosen Meeting zwischen Triton und seinen Töchtern. In dieser Realverfilmung wurde die Spielzeit gehörig aufgebläht. Ansonsten wirkt alles minimalistischer.
In den Töchtern erkennt man ebenfalls ein Indiz, dass die Macher es viel zu gut mit Repräsentation meinen, und sie blind dafür geworden sind, wie herkömmliche Zuschauer manche Bilder bewerten könnten.
Jede Tochter ist von einer anderen Ethnie. Löblich! Nur was haben wir jetzt? Triton ist weiß, Arielle schwarz, die anderen Töchter sind ein bunter Haufen. Das Erste, was bösen Menschen hier reflexartig durch den Kopf schießen könnte: „Triton hat sich durch sämtliche Weltmeere gehurt“.
Man kann nicht jeden Unfug mit dem Argument ‚Märchen‘ realisieren. Auch ein Märchen sollte nicht komplett die Basis zu unserer Realität verlassen.
Ich lasse es hier mal gut sein, auch wenn es noch weitere Szenen gäbe, die ich näher beleuchten könnte. Auch das Schauspiel hat mich nicht überzeugt, allen voran Melissa McCarthy als Ursula. Ihre Rolle spielt sie meines Erachtens so demotiviert, wie sie es wahrscheinlich wäre, wenn sie dazu gezwungen würde, eine Laudatio für mich zu halten.
Fazit zu den Filmen – Das verlorene Märchen
Der Trickfilm Arielle die Meerjungfrau ist ein Meisterwerk der filmischen Märchenerzählung, eine Hommage an das Original von Hans Christian Andersen.
Das Remake opfert die Magie auf dem Altar der ‚starken, unabhängigen Frau‘ und der ‚Repräsentation‘. Dafür, dass man alle Kritik damit wegargumentiert, es handle sich ja nur um ein Märchen, steckt erstaunlich wenig Märchenhaftes in dieser modernen Interpretation.
Zum Beispiel hat Disney auch nach mehreren Fehltritten in den letzten Jahren immer noch nicht gelernt, dass unnötiger Realismus bei der Darstellung von Tieren – hier z.B. die Krabbe Sebastian, oder der Fisch Fabius – nicht gerade dazu beiträgt, das Publikum mit märchenhaften Bildern zu verwöhnen.
Stellenweise nimmt sich der Film zu ernst und weist an den falschen Stellen auf reale Missstände hin. Tritons Töchter beschweren sich bei Triton darüber, dass die Menschen viel Dreck in den Meeren hinterlassen. Dass wir Meere verschmutzen, darüber können aber andere Filme viel besser aufklären. Dafür brauche ich keinen Disney-Märchenfilm. Einen solchen würde ich benötigen, um mich zu entspannen, denn Märchen sind dann am stärksten, wenn sie mich von realen Problemen ablenken.
Leider ist Disney heute anderer Meinung. Disney hat das Träumen verlernt. Ihr neues, von ihnen vielgepriesenes Werk könnte man vielleicht noch als Mittelmaß durchgehen lassen, wenn diese aufdringlich belehrenden Botschaften des Zeitgeistes nicht wären.
Hätten die Macher dieses blutleeren Remakes tatsächlich etwas zu Emanzipation und Frauenpower beitragen wollen, hätte sie sich mehr auf das Ursprungsmärchen von Andersen besinnen sollen.
So wirken die Statements rückradlos und ängstlich. Wieder einmal wurde für China das Filmplakat geändert (wie auch schon bei Star Wars Episode 7 und Marvel Black Panther), damit die schwarze Darstellerin nicht unangenehm ins Auge springt. Disney hat sich bei diesem Film nichts getraut und alles verloren. Dessen Einsatz für schwarze Menschen wirkt verlogen, der Ruf nach starken unabhängigen Frauen wirkt geradezu lächerlich, wenn man Arielles Auftritt mit dem Hinauswachsen der Nixe aus dem ursprünglichen Märchen vergleicht, die Story zu konstruiert, zu undurchdacht, im Vergleich zum Meisterwerk von 1989.
Das Märchen von Andersen ist wunderbar, der alte Trickfilm einfach traumhaft. Und das Remake?
Na ja! Was sagt es über einen Film aus, bei dem die Hautfarbe der Hauptdarstellerin das populärste Gesprächsthema ist?
Die Filme sind auf Disney plus zu streamen oder auf DVD/Blu-Ray erhältlich.