
Butter ist ein schönes Veranschaulichungsbeispiel für das Altern, besonders wenn man sie nicht von ihrer Verpackung trennt. Vor ihrem ersten Einsatz blättern wir die junge unberührte Butter aus ihrer glänzenden, knitterlosen Folie. Ihrer Hülle beraubt bietet sich uns makellos und appetitlich dar. Perfekt geformt, von Kante zu Kante. Höchstens der Prägestempel der Marke unterbricht ihre goldgelbe Reinheit. – Bis das Brotmesser zum ersten Mal mit der Arbeit beginnt.
Von da ab schwindet die Reinheit. Die Butter zerfurcht mit jedem Verbrauch mehr. Sie wird geritzt, zerschnitten, verflüssigt. Einige Verbraucher streichen sie zart, andere wiederum veranstalten ein Gemetzel an ihr. Die Butter wird kleiner, runzliger, zerklüfteter. Ihre Folie gezeichnet von Falten und Rissen. Regelrecht zerknüllt umhüllt sie den schwindenden Rest der einstigen Pracht, bis nichts mehr von der Butter übrig ist und als letztes die Folie selbst, ihr einstiges Kleid, ihre Haut, im Abfall landet. Doch keine Sorge! Eine neue Butter steht schon bereit.
Das Altern gehört zu unseren Urängsten. Mit zunehmenden Jahren wachsen die Schäden an unserem genetischen Material. Zellen und Gewebe können nicht mehr vollständig repariert werden. Die Folge davon ist Funktionsverlust, was uns älter aussehen lässt. Seit es uns gibt, träumen wir von einer Substanz, die unser Altern stoppt. Wir sehnen uns nach einem Jungbrunnen, der unsere Jugend auf ewig bewahrt oder zurückholt.
Wissenschaftler versuchen schon seit geraumer Zeit das Altern auch durch Reduzierung der Zellteilung zu bremsen, wenn nicht gar zu stoppen. Denn jede Zellteilung führt dazu, das wichtige DNA-Sequenzen an unseren Chromosomen Schaden erleiden. Unermüdlich suchen daher Forscher nach einem Weg, den jungen Körper zu erhalten. Im Film The Substance scheint eine namenlose Organisation einen solchen Weg in Form eines geheimnisvollen Medikaments zur Kontrolle der Zellteilung gefunden zu haben.
Der Film spielt augenzwinkernd mit der Frage: Was wäre, wenn die gebrauchte Butter zugleich die neue Butter wäre.

Handlung
An ihrem 50sten Geburtstag wird die bekannte Schauspielerin und Tänzerin Elisabeth Sparkle entlassen. Die letzten Jahre hat sie die Aerobic-Show Sparkle Your Life moderiert, doch das Leben hat unverkennbar Spuren des Alterns hinterlassen. Falten nehmen zu, der Körper wird schlaffer und unansehnlicher. Ihr Chef, dem man das Alter ebenfalls ansieht, sagt nur lapidar: „Mit 50 hört es auf.“ Damit meint er jedoch nicht sich, sondern sie.
Nicht nur aufgrund der Entlassung hadert Elisabeth mit ihrem Schicksal. Sie denkt an die Zeit ihrer Jugend zurück, als sie von unzähligen Fans umschwirrt worden war, die ihr sagten, wie einmalig sie sei und wie sehr sie sie liebten.
Doch wenn sie heute in den Spiegel sieht, erblickt sie eine dahinwelkende Frau, die ihren Zenit längst überschritten hat. Elisabeth hasst sich dafür und fühlt sich von der alternden Frau im Spiegel abgestoßen.
Als sie während einer Autofahrt geschockt bemerkt, dass eins ihrer Werbeplakate abgehängt wird, baut sie einen Unfall. Im Krankenhaus trifft die tief verzweifelte Schauspielerin auf einen jungen Pfleger, der ihr heimlich einen USB-Stick zusteckt. Als Elisabeth den Stick mit der Aufschrift „The Substance“ zuhause aus der Tasche zieht, findet sie darauf eine Werbebotschaft. Ein mysteriöser Anbieter bewirbt ein Serum, das bei Anwendung eine jüngere, perfekte Version des Anwenders erschafft.
Zuerst zögert Elisabeth doch die Vorstellung von einem neuen, jungen Ich lässt sie nicht los. Sie bestellt das Serum. In kurzer Zeit erfolgt die Lieferung einer Identitätscard mit ihrer Nummer: 503. Dieser Karte öffnet ein Schließfach in einem geheimen Lagerraum. Elisabeth entnimmt daraus die erste Lieferung: Aktivator, Stabilisator, Wechsler und Flüssignahrung, jeweils für die Matrix (sie selbst) und das andere Ich.
Zudem liegen noch kryptische Anweisungen bei. Eine weist darauf hin, dass ohne Ausnahme alle sieben Tage gewechselt werden müsse, die letzte warnt in großen Buchstaben: „Nicht vergessen: Ihr seid eins.“
Elisabeth geht ins Bad und spritzt sich die Aktivator-Substanz. Kurz darauf bricht sie bewusstlos zusammen. Ein wenig später erhebt sich statt ihr eine junge, traumhaft schöne Frau mit einem makellosen Körper. Das ist die Geburt von Sue. Doch Elisabeth wird sehr bald merken, dass nicht alles an ihrem neuen Leben perfekt und wunderbar ist …

Großartiges Schauspiel
The Substance lebt von seinen großartigen Schauspielern, allen voran Demi Moore als welkende Elisabeth Sparkle. Demi Moore spielt die Rolle so gekonnt und intensiv, dass man ihren Schmerz und ihren Selbsthass beinahe fühlen kann. Elisabeth Sparkle ist ein Mensch, der Ruhm und Anerkennung braucht und es nie etwas anders erlebt hat. Daher definiert sie sich nur durch ihr Äußeres, das ihr bisher immer ein erfolgreiches Leben ermöglicht hat. Mit der verblassenden Schönheit verblast nun auch ihr Ruhm.
Nahezu perfekt wird das gleich am Anfang des Films symbolisiert, als der Stern von Elisabeth Sparkle in den Hollywood Walk of Fame eingegossen wird, zu Beginn noch strahlend und vollkommen, doch im Laufe der Jahre verwittert der Stern und bekommt Risse. Auch in der letzten Einstellung zum Ende des Films sehen wir den Stern noch mal. Da schließt sich der Kreis zu einem rundum vollendeten Schluss.Demi Moore verkörpert die alternde Schauspielerin schonungslos und verlangt sich dabei mit Sicherheit selbst viel ab. Moore wurde für ihre Rolle 2025 für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.
Aber auch die Tochter der Schauspielerin Andie MacDowell, Margaret Qualley, spielt mit einer Ausstrahlung, die mit der ihrer Mutter mithalten kann, Sparkles jüngere Version Sue. Das Zusammenspiel der beiden Frauen ist erfrischend dynamisch und kraftvoll, wobei Qualley es schafft, ihrer Figur die Perfektion und Sinnlichkeit zu verleihen, die für diese Rolle nötig ist.
Während sich Frauen mit den Anzeichen des Alterns herumschlagen müssen, trifft es die Männer nicht ganz so schlimm, besonders dann nicht, wenn sie nur hinter der Kamera stehen und neunmalkluge oder unverschämte Reden halten. Einen oberflächlichen Typ von miesem Charakter spielt mit gewohnter Routine Dennis Quaid, der die Rolle von Sparkles Chef Harvey übernimmt.

Faszination und Ekel – Wenn der eigene Körper sich wandelt
Der Wechsel zwischen Elisabeth und Sue findet in Elisabeths Badezimmer statt. Auch hier zeigt Regisseurin und Drehbuchautorin Coralie Fargeat (die 2025 ebenfalls Oscar-nominiert wurde für bestes Drehbuch und beste Regie) eine hervorragende Hand für die Inszenierung ihrer Figuren. Das Badezimmer erinnert eher an einen sterilen Forschungsraum. Weiße Kacheln, helles Licht ohne Schatten. Nichts lenkt die Blicke des Zuschauers von den nackten Leibern ab.
Der Film spielt mit dem Zuseher wie mit seinen Figuren, ohne sich zu ernst zu nehmen. So ist die Kamera zuerst wie ein Voyeur auf Sue gerichtet. Die Linse kostet jede geschmeidige Bewegung von Sues makellosem Körper aus, betont ihre heißen Rundungen, nur verborgen unter einem Hauch von Nichts, das man Aerobic-Dress nennt. Zu Beginn sollen wir uns an Sues Fleisch regelrecht ergötzen.
Mit fortschreitender Handlung ändert sich die Sicht auf den Körper, doch die Kamera hält nach wie vor drauf, auch auf die Aussicht, die uns unangenehm ist: das Alter und der Verfall eines Körpers, der zum Ende abstruse Formen annimmt. Hier taucht der Film in das Boddyhorror-Genre ein, Anblicke werden offenbar, die nur mit einer guten Ekeltoleranz zu ertragen sind. Wir blicken auf ein Monster, das von einer Gesellschaft erschaffen wurde, die nur an Oberflächlichkeiten hängt.

Eine Gesellschaft ohne Tiefe
Nicht nur attraktiv wollen wir sein, auch einfach soll es zu erreichen sein, am besten ohne große Mühen. Die mitgelieferte Gebrauchsanweisung für den perfekten Körper liest sich wie ein Kinderbuch: Wenig Worte in großen Buchstaben, geformt zu kurzen, einfachen Sätzen. Der Prozess des Gensplicings wird heruntergebrochen zu einem Kinderspiel.
Es ist ein Traum, der aufgrund mangelnder Erfahrung zu einem Albtraum wird. Elizabeth hat nie gelernt, sich über ihren Körper hinaus zu akzeptieren. Sie kommt kaum mit sich selbst klar. Wie soll sie da mit einem jüngeren, perfekten Ich klarkommen?
Da die beiden ein und dieselbe Person sind, gilt das natürlich auch für Sue. Das empfindliche Gleichgewicht, das zwischen den beiden gewahrt werden muss, gerät somit zwangsläufig in Gefahr. Doch dieses Gleichgewicht ist der einzige Preis, den die Hersteller der Substanz für ein zufriedenes Leben verlangen. Geld will die Firma nicht, als ob sie wüsste, dass ein perfektes Leben nicht käuflich ist.
Um die oberflächliche Gesellschaft mit ihrer Heuchelei und ihrem Selbstbetrug, nur innere Werte seien wichtig, vollends zu entblößen, steigert sich das Ende zu einem erschreckenden und äußerst grotesken Szenario. Wie eine Fanfare erschallt die sinfonische Dichtung von Richard Strauss Also sprach Zarathustra, als bei der Silvestershow, die Sue moderieren soll, die Scheinwerfer auf den neuen Leib von Elizabeth bzw. Sue geworfen werden und die freudige Erwartung der Showgäste sich in blankes Entsetzen verwandelt.

Fazit
The Substance ist einer jener Filme, über die ich stundenlang nachdenken kann, auch oder gerade weil er teilweise völlig überzogen ist. Der tiefe Schmerz von Elisabeth Sparkle aufgrund des Verlusts ihrer Jugend steht im Kontrast zu hi und da eingewobenen, abstrusen, ja sogar heiteren Szenen. Der Film ist furchtbar gut gemacht. Bei jeder Szene hat man das Gefühl, das mehrere latente Botschaften hinter den gezeigten Bildern stecken. Man hat den Eindruck, dass jede Einstellung, jeder Kamerawinkel, jedes Detail mit Bedacht ausgewählt worden ist. The Substance erhält dadurch einen unverkennbaren Charakter und erinnert daran, dass ‚Film‘ ebenfalls eine Kunstform ist.
Menschen mittleren Alters (die eine hohe Ekelschwelle besitzen) lege ich den Film gerade dann besonders ans Herz, wenn sie nicht mehr zufrieden mit ihrem eigenen Körper sein sollten. Nach dem Ansehen von The Substance werden sie ihren Körper wieder lieben.
The Substance ist auf Blu-ray und DVD erhältlich oder kann auf MUBI gestreamt werden.
Originaltitel: The Substance. Science-Fiction, Horror. Vereinigtes Königreich, USA, Frankreich 2024. 141 Minuten. Regie: Coralie Fargeat. Drehbuch: Coralie Fargeat. FSK 16
Bildquelle: © MUBI Filmverleih