2024 / FSK 12 / 135 Minuten
Die Nibelungensage ist eine der bekanntesten Heldensagen im germanischen und skandinavischen Raum. Ihr Ursprung reicht bis in die umwälzende Zeit der Völkerwanderung zurück, die mit dem Einbruch der Hunnen nach Europa begann, ca. 375 und sich bis zum Einfall der Langobarden in Italien um 568 erstreckte. Es war eine unruhige Zeit die Geschichten von Helden, Drachen, den alten Wesen und höfischen Intrigen geradezu befeuerte.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstand schließlich das Heldenepos Nibelungenlied, das spätere Nationalepos der Deutschen. Der Held der Geschichte, der Drachentöter Siegfried, wurde auch zum deutschen Nationalhelden. Er hat einen Drachen erschlagen und in seinem Blut gebadet, worauf er (fast) unverwundbar geworden ist.
Achtung! Hier wird es allgemein zur Geschichte und speziell zum Film zu Spoilern kommen.
Kurze Zusammenfassung des Nibelungenlieds:
Das Nibelungenlied ist in zwei Teile gegliedert. Ich erwähne kurz nur den ersten Teil, denn der hier besprochene Film ist an diesen angelehnt.
Der Königssohn Siegfried von Xanten reist zum Hof von Burgund, denn er hat sich in Kriemhild verliebt, obwohl er sie noch nie getroffen hat. Dort ist er bereits bekannt, weil jeder die Legende von ihm, den Drachentöter kennt.
König Gunther, Krimhilds Bruder, ist bereit sie Siegfried zur Frau zu geben, jedoch nur unter einer Bedingung. Siegfried muss ihn nach Island begleiten und ihm helfen die dortige Königin Brünhild zur Frau zu gewinnen. Das ist ein gefährliches Unterfangen, denn Brünhild ist eine Kriegerin mit gewaltigen Kräften, die jeden Freier zu tödlichen Kampfspielen herausfordert. Siegfried sagt zu, und gemeinsam besiegen er und Gunther Brünhild. Es kommt zur Doppelhochzeit von Gunther und Brünhild und Siegfried und Kriemhild.
Doch schon bald geraten die beiden Königinnen in Streit, weil sie sich nicht einigen können wer von ihnen beiden den höheren Rang bekleidet. Brünhild plant daher mit ihrem Gefolgsmann Hagen von Tronje einen schrecklichen Verrat. Bei einer Jagd soll Hagen Siegfried töten. Siegfried hat auf dem Rücken eine verwundbare Stelle. Damals beim Bad im Drachenblut ist ein Blatt darauf gelandet und hat diese Stelle bedeckt. Der Mord gelingt. Während Siegfried an einer Quelle trinkt stößt Hagen ihm eine Lanze in den Rücken. Als Krimhild von Siegfrieds Tod erfährt schwört sie sich an den Verantwortlichen zu rächen.
Eine alte Sage in der neuen Zeit
Seit ihrem Bestehen gibt es zahlreiche Varianten und Interpretationen der Geschichte. Eine der bekanntesten neuzeitlichen Varianten ist sicher die Oper Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner, die 1876 im Bayreuther Festspielhaus uraufgeführt wurde. Diese Ring-Tetralogie ist unterteilt in Das Rheingold, Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung.
Zur Zeit des Dritten Reiches wurde Wagners pathetische Oper sehr politisiert und damit diese nordische Sage missbraucht. Das NS-Regime sah in Siegfried den idealen Kandidaten für den arischen Übermenschen.
Das epische Werk wurde später auch mehrmals verfilmt. Ein Beispiel ist der Zweitteiler Die Nibelungen aus dem Jahr 1966 (Teil 1: Siegfried von Xanten) und dem Jahr 1967 (Teil 2: Kriemhilds Rache).
Auch in Büchern wurde die Sage öfter aufgegriffen, oder Autoren wurden von ihr inspiriert.
Der bekannte deutsche Autor Wolfgang Holbein nahm sich ebenfalls dieses Themas an. 1986 erschien sein Roman Hagen von Tronje. Dieser Buchvorlage verdanken wir nun die aktuelle Geschichte.
Der Kinofilm startete in Deutschland am 17. Oktober 2024. Doch der zeigt nur einen Teil der deutschen Produktion. RTL+ plant für 2025, eine Event-Serie mit der vollständigen Story auszustrahlen.
Zugegeben ich war äußerst skeptisch als ich Ende Februar 2024 den Film als Testzuseher schon mal vorab erleben durfte. Im phantastischen Bereich haben mich gerade aktuelle deutsche Filme wahnsinnig enttäuscht. Man erinnere sich an Der Schwarm. Die Macher der Serie spuckten auf Frank Schätzings spannenden SiFi-Thriller. Die Zuseher erhielten eine in Bewegtbildern verpackte verstümmelte Version von ‚Nichts‘!
Auch eine aktuelle Umsetzung von Hohlbeins Geschichte Der Greif hat mich nicht überzeugt. Die 6-teilige deutsche Fantasy-Serie von 2023 ist bei Amazon Prime zu sehen. Die Serie ist nicht schlecht, bleibt aber nicht lange in Erinnerung.
Umso positiv überraschter war ich, dass ich im Test-Screening eine durchwegs solide, kurzweilige Unterhaltung geboten bekam. Das ist auch im fertigen Kinofilm so geblieben. Doch worum geht es nun in dieser Neuinterpretation der Nibelungensage?
Handlung
Waffenmeister Hagen von Tronje dient seit seiner Kindheit dem Königshaus von Burgund, zu dessen aktuellen König Gunther er ein vertrautes, fast freundschaftliches Verhältnis pflegt. Tiefer gehen seine Gefühle für Gunthers Schwester Krimhild, doch seine Pflicht verbietet es ihm, ihr zu nahe zu kommen. Daher hält er auch Krimhilds zarte Gefühle für ihn auf Distanz.
Eines Tages erscheint am Hof der verwegene Königssohn Siegfried von Xanten mit seiner Truppe. Von Hagen skeptisch beobachtet, betritt dieser Krieger die Burgunder-Burg. Zuerst scheint er auf Streit aus zu sein, doch nach einem kurzen Gespräch legt sich seine Kampfeslust, und Gunther heißt ihn bei sich willkommen.
Siegfried verweilt am Hof. Er offenbart sich die nächsten Tage jedoch eher als unzuverlässiger Herumtreiber. Trotzdem ist er beliebt und geachtet, denn jeder kennt die Geschichte von ihn, den Drachentöter. Nur Hagen bleibt zunächst misstrauisch, nicht zuletzt deshalb, weil Siegfried einen geheimnisvollen Gefährten mit sich führt. Das alte Nibelungen-Wesen Alberich, das ihn seit dem Tod des Drachen begleitet.
Doch Siegfried erweist sich als äußerst nützlicher Verbündeter auf dem Schlachtfeld. Auf der Seite der Burgunder kämpft er gegen die Sachsen und Dänen. Er enthauptet den Sachsenkönig und rettet den schwer verletzten Hagen das Leben, indem er den Dänenkönig tötet, kurz bevor der dem hilflosen Waffenmeister den Schädel spalten kann.
Der Sieg gegen diese Heere macht Siegfried gerade für das Burgunder Volk zu einem noch größeren Helden. Und auch Krimhild wird auf ihn aufmerksam. Sie kommen sich näher und verlieben sich ineinander.
Siegfried möchte bei Gunter um Krimhilds Hand anhalten, doch Hagen verleitet seinen König von Siegfried eine Bedingung zu fordern. Siegfried solle Gunther nach Isenstein begleiten und ihm helfen Königin Brunhild zur Frau zu gewinnen, denn seit Siegfried Gunther von ihr erzählt hat, ist der König von der Walküre Odins besessen.
Siegfried willigt nur beklommen ein. Was Gunther nicht weiß, er und die mächtige Kriegerin hegen tiefe Gefühle füreinander…
Der Nibelungen-Stoff wurde auf die heutige Zeit zugeschnitten, einige Abschnitte und Charaktere geändert. Ob das nur der Feder von Wolfgang Hohlbein zu verdanken ist, kann ich nicht sagen, da ich seinen Roman nicht gelesen habe. Meine Bewertung erfolgt allein auf Basis des Filmes.
Die Figur des intriganten, gewissenlosen Hagen wandelt sich. Hagen-Darsteller Gijs Naber schafft es Hagens zurückhaltenden, undurchsichtigen Charakter gut widerzugeben. Das ist wichtig, denn mit Hagen als Zentralfigur steht und fällt die ganze Geschichte. Hagen umgibt der Charme des kaum greifbaren, aber trotzdem verlässlichen Gefolgsmannes. Zudem erzählt eine interessante Hintergrundgeschichte, die ebenfalls mit dem Drachen zusammenhängt, wie er als Kind nach Burgund gekommen ist. Das alles hat mir gut gefallen. Erst zum Ende hin löst Hagen bei mir ein Kopfschütteln aus. Davon später mehr.
Aus Siegfried (Jannis Niewöhner) hingegen machten die Autoren einen charakterschwachen Tunichtgut. Der (naive) Held von einst hat zwar immer noch einen Drachen erschlagen und ist nach wie vor ein unglaublich starker, fast unbesiegbarer Abenteurer. Doch mehr ist nichtmehr übrig, positive Eigenschaften werden ihm kaum noch zuerkannt. Der ursprüngliche Siegfried hatte ein Ziel, als er nach Burgund aufbrach. In dieser neuen Variante scheint er mehr zufällig dort einzutreffen, er säuft und prahlt und irgendwie ist er auf der Suche nach einer Familie. Mal will er Gunter zum Kampf herausfordern, dann doch nicht. Dann verliebt er sich in Krimhild, aber Brunhild, seine letzte große Liebe, hat er noch nicht überwunden, obwohl er es gewesen ist, der sie verlassen hat. Siegfried ist rastlos und hält es nicht lange an einem Ort aus. Auch Krimhild wird er nach der Hochzeit untreu, und Burgund engt ihn scheinbar ein.
Hagen und Siegfried sind sehr unterschiedlich. Trotzdem freunden sich die beiden auf der Reise nach Isenstein an.
Mir gefallen diese Beziehungen und ihre Konflikte im Prinzip gut. Leider macht der Film zu wenig daraus, vielleicht auch weil eben diese umfangreichere Serie geplant ist.
Von den anderen Charakteren stach für mich nur noch Brunhild heraus, toll gespielt von Rosalinde Mynster. Ihr nimmt man die Rolle der mystischen Walküre, schweigsam und unabhängig, sofort ab. Auch die Szenen auf Isenstein gehören für mich zu den Highlights des Films.
Die Schauspielerriege selbst ist durchwachsen. Naber und Mynster machen einen sehr guten Job. Niewöhner und Johanna Kolberg als Zwergen-Wesen Alberich versuchen durchaus alles aus ihren Rollen herauszuholen, ebenso einige Nebendarsteller.
Lilja van der Zwaag als Krimhild hingegen fand ich blutleer und blass. Van der Zwaag und Niewöhner haben mich als Paar Siegfried und Krimhild nicht überzeugt. Dementsprechend passt es vielleicht, dass Krimhilds Racheschwur an Hagen am Ende des Films so teilnahmslos runtergeplappert wird, als würde sie den letzten burgunder Ratsbeschluss über die Spätlese des Weins verkünden.
Am Schlimmsten aber trifft es den armen König Gunther. Diese Figur hat die Laiendarstellung von Dominic Marcus Singer nicht verdient. Ich habe Hobbyschauspieler auf kleiner Bühne in meinem persönlichen Umfeld erlebt, die mit mehr Talent, Überzeugung und Ausstrahlung gespielt haben. Keine Ahnung, was die Verantwortlichen des Castings uns mit dieser Entscheidung mitteilen wollten.
Am Ende zu gut gemeint
Kommen wir nun zu dem Punkt, der mir überhaupt nicht gefallen hat. In der ursprünglichen Sage ermordet Hagen Siegfried ‚heimtückisch‘ von hinten.
Das darf natürlich auf keinen Fall in der modernen Version so ablaufen. Hagen ist ja unser Titelheld mit dem wir uns im Idealfall identifizieren sollen. Und wir würden natürlich nie und nimmer zu unlauteren Mitteln greifen, wenn es darum geht einen nahezu unverwundbaren Titanen zu beseitigen, der stark ist wie zehn Ochsen. Lieber gehen wir doch in den eigentlich sicheren Tod, weil wir, wie es sich für rechtschaffene Streiter gehört, dem überraschten Siegfried sein mächtiges, aus Drachenzahn geschmiedetes Schwert zuwerfen, um ihm erst mal zu verstehen zu geben, dass wir ihn gerne töten wollen. Da kann absolut nix schiefgehen!
Nanu? Ihr würdet unter Umständen nicht so edel handeln wie Hagen, obwohl ihr im Grunde redliche Menschen mit Anstand seid? Ich auch nicht. Ich würde eher so handeln, wie es Hagen in all den Jahrhunderten davor vorgemacht hat. Der neue Hagen nicht.
Es folgt ein im Grunde schön choreografierter Kampf zwischen Hagen und Siegfried, bei dem Hagen erstaunlich ebenbürtig ist. Es hat mich dann doch verwundert, dass er den topfitten Siegfried so gut die Stirn bieten kann. Für mich ist das vollkommen unglaubwürdig.
Hier hat man sich nicht getraut Hagen zu unlauteren Mitteln greifen zu lassen. Heraus kommt aber eine moralisch überkorrekt handelnde Kunstfigur, die nichtmehr lebensnah wirkt. Jeden nur erdenkbaren Vorteil zu nutzen, um gegen einen unglaublich starken, unverwundbaren Gegner bestehen zu können, hätte Hagen nicht zum Schurken gemacht. Dass er seinen Freund Siegfried überhaupt angreift, das ist ja das moralisch Verwerfliche in dieser Version der Geschichte.
Die Einleitung eines Zweikampfs zwischen Hagen und Siegfried hätte man auch anders inszenieren können: Hagen ‚haut‘ Siegfried das Schwert ins Kreuz, schwächt ihn damit, verletzt ihn aber nicht tödlich. Darauf entbrennt der Kampf, und da Siegfried angeschlagen ist sieht es auch nicht komisch aus, wenn Hagen plötzlich mithalten kann. Das Ende kann dann wieder so ablaufen wie im Film.
Fazit
Für deutsche Verhältnisse wurde eine beachtliche Fantasy-Produktion auf die Beine gestellt, die der ursprünglichen Sage Ehre macht. Ich konnte manchmal diese alte Sage regelrecht fühlen. Die meisten Schauspieler verstanden ihr Handwerk. Auch das Setting und die Kostüme erreichen ein hochwertiges Niveau, und die kraftvolle Musik von Adam Lukas und Jakob Shea trägt sehr zur mittelalterlich-mythologischen Stimmung bei.
Die zwischenmenschlichen Beziehungen aus dem Kern der Geschichte herauszuarbeiten ist an sich keine schlechte Idee. Die Freundschaft zwischen Siegfried und Hagen, aber auch die Liebe zwischen Brunhild und Siegfried (in dieser Version vergisst Siegfried seine Liebe zu Brunhild nicht) beleben die Geschichte und verleiht ihr mehr Tiefe.
Bei diesen Beziehungen musste ich sofort an den Film Excalibur denken. Hier gibt es große Ähnlichkeiten zwischen Siegfried und Hagen, im Vergleich mit Lancelot und Artus, bzw. Siegfried und Brunhild im Vergleich mit Lancelot und Guinevere.
Der Excalibur-Soundtrack enthält übrigens auch Stücke aus Wagners Nibelungen-Ring, Ride Of The Valkyries (Die Walküre) und Siegfried’s Funeral March (Götterdämmerung).
Doch Hagen ist kein Excalibur. Das Meisterwerk von 1981 hat bei der Verfilmung der Artus-Sage neue Maßstäbe gesetzt und wurde dadurch quasi zum ‚Heiligen Gral‘ der Sagen-Filme – zumindest für mich.
Die Handlung von Hagen hingegen wirkt stellenweise zu langatmig und unvollendet. Das Ende ist leider mutlos und macht viel von dem Film kaputt. Schade!
Im Großen und Ganzen ist es aber ein sehr schöner, solider Film. Jedoch hat er es nicht geschafft, in mir den Wunsch zu wecken, 2025 das Geld für ein RTL+-Abo zu investieren, damit ich auch die Serie sehen kann.
Bildquelle: © Constantin Film
Weiterführende Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nibelungensage
https://de.wikipedia.org/wiki/Nibelungenlied