1968 wurde ein Fantasyroman von Peter S. Beagle veröffentlicht, der wie kein anderer unsere moderne Vorstellung von Einhörnern geprägt hat: Das letzte Einhorn.
Das Einhorn gilt als eins der bekanntesten und beliebtesten Fabelwesen in unserer Kultur und ist vor allem in Märchen und Fantasy-Geschichten zuhause. Doch schon in der Antike kannte man Geschichten über ‚Einhörner‘ mit dicken Füßen, die in Indien beheimatet gewesen sind. Bei diesen indischen Einhörnern handelte es sich offenbar um Nashörner. So verwundert es nicht, dass Beagle 1995 auch eine Einhorn-Geschichte schrieb, mit dem Titel Das indische Nashorn.
Im Mittelalter raunte man, das Einhorn sei so stark, dass es sich mit einem Löwen messen könne. Es sei aggressiv, lebe allein und hasse männliche Wesen. Dieses alleinlebende, angriffslustige Einhorn ist wohl jedem bekannt, der das Märchen Das tapfere Schneiderlein kennt.
Doch in Beagles Vorstellung sind diese Wesen sanft und so scheu, dass sie sich teilweise vor ihrer eigenen Stimme erschrecken, wenn sie schon lange nichtmehr gesprochen haben.
Das Einhorn in Beagles Geschichte ist unvorstellbar alt, strahlend weiß wie neu gefallener Schnee und anmutiger als eine Gazelle. Dieses Einhorn ist weise und trotzdem fern vieler Erfahrungen, die Menschen unter Umständen zuteilwerden, gerade was Gefühle betrifft. Beagles Einhorn ist ein magisches Geschöpf mit großen Zauberkräften.
Ich beginne zuerst mit der Geschichte, die uns der Roman erzählt, gehe dann näher auf den Film ein und gebe zu guter Letzt meine Meinung zur Fortsetzung zum Besten. Achtung! Hier wird es zu Spoilern kommen.
Der Beginn eines mitreißenden Abenteuers
Das Einhorn lebt es allein aber zufrieden in seinem Wald, versteckt vor den Menschen und nur sichtbar für die Tiere des Waldes. Unzählige Tage hat das Einhorn bereits hinter sich gebracht, doch es erscheint noch jung und strahlend.
Das Leben des Einhorns ändert sich erst, als Jäger vergeblich versuchen in dem Wald Beute zu finden. Von diesen Jägern erfährt das Einhorn, dass es wohl das Letzte seiner Art sein müsse. Fassungslos versucht das Einhorn die ungeheuerliche Vermutung der Jäger zu leugnen, bis es auf einen kleinen Schmetterling trifft. Der erzählt ihm vom Verschwinden der Einhörner. Der Rote Stier, ein gewaltiger Koloss aus Flammen, habe alle Einhörner vor sich hergetrieben.
Doch wer oder was ist der Rote Stier? Warum hat er die Einhörner gejagt? Gibt es den Roten Stier überhaupt, oder ist es nur die Geschichte eines dummen, kleinen Schmetterlings?
Der Schmetterling fliegt weiter und lässt das Einhorn mit dessen Fragen zurück. Also muss es sich selbst auf dem Weg machen. Es verlässt den Wald um das Rätsel vom Verschwinden seiner Artgenossen zu lösen. Noch kann es nicht ahnen, dass es in ein Abenteuer startet, das es für immer verändern wird…
Die Symbolkraft der Hauptfiguren
Schmedrick – Der weise Narr
Auf der Reise begegnet dem Einhorn ein Zauberer, der scheinbar jung und etwas einfältig ist. Er hat so seine liebe Not, die Magie richtig zu beherrschen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er sich wünscht endlich ein richtiger Zauberer zu werden.
Doch der Zauberer, sein Name ist Schmendrick, ist ebenfalls uralt und kann nicht eher sterben, bis er seine wahre Bestimmung gefunden hat. Mit diesem Fluch hat ihn sein Meister belegt. Schmendrick besitzt große Macht, die er jedoch nicht immer lenken kann. Erst als er das Einhorn auf dessen Reise begleitet entdeckt er, dass er die Magie selbst wählen lassen muss, wie sie am besten zu nutzen sei. Mit dieser Macht gelingt es Schmendrick letztendlich das Einhorn vor dem Roten Stier zu schützen, indem er es in eine Menschenfrau verwandelt.
Nehmen wir uns Schmendrick zum Vorbild können wir lernen unseren eigenen Weg zu gehen, unabhängig davon, was andere über uns denken, oder ob sie uns für Narren halten. Wir jedoch haben nicht ein ewiges Leben Zeit, um unsere Bestimmung zu finden. Daher müssen wir bereit sein wie Schmendrick wenn er wahre Magie wirkt, auf unseren inneren Drang und unser Herz zu hören. Wie ihm kann es uns dann gelingen, über uns hinauszuwachsen, aber nicht nur zu unserem eigenen Wohle, sondern zum Wohle aller.
Molly Grue – Verlorene Unschuld
Räuberbraut Molly ist eine mürrische Gesellin, denn sie lebt jeder Hoffnung auf ein zufriedenes Leben beraubt, bei einer Bande Gesetzloser. Trotzdem hat sie einen guten Kern in ihrem Inneren bewahrt.
Die erste Begegnung mit dem Einhorn lässt darauf schließen, dass es einmal anders gewesen sein muss, als sie noch jung und unschuldig war, und von einem guten Leben und von einem Treffen mit einem Einhorn geträumt hat. Denn, so erzählen sich in dieser Geschichte die Menschen, Einhörner werden angezogen von reinen, unberührten Mädchen, wenn sie ihnen ein Lied vorsingen.
Molly wurde jedoch nie von einem Einhorn besucht. Und an ihrer Entrüstung beim ersten Aufeinandertreffen ist zu erkennen, dass Molly hart damit zu kämpfen hat, dass das Einhorn erst jetzt in ihr Leben tritt, jetzt wo es vermeintlich zu spät ist, weil sie ihre Unschuld verloren hat, weil „das aus ihr geworden ist“. Zu Mollys Vorwürfen hat das Einhorn nur eins zu sagen: „Jetzt bin ich ja hier!“
Diese Szene unterstreicht, dass sich das Leben nicht beugen lässt. Weder die Geschichten der Menschen über Einhörner, noch Mollys unbedingter Wille hat zu der ersehnten Begegnung geführt. Man kann das Schicksal nicht zwingen, sondern nur mit dessen Strom schwimmen und es in eine gewisse Richtung innerhalb dieses Stromes lenken.
In dieser Geschichte sind es nicht nur die Unschuldigen, die vom Schicksal begünstigt das Einhorn erkennen, sondern auch jene, die reinen Herzens sind. Sowohl dem Schicksal, als auch dem Einhorn ist Mollys verlorene Unschuld und vergangene Jugend egal. Das Einhorn erscheint, wenn es Zeit dafür ist.
König Haggard – Innere Leere
Auf der Suche nach dem Roten Stier trifft das Einhorn in der menschlichen Gestalt der Lady Amalthea auf den alten, verbitterten König Haggard. Haggard ist der typische Vertreter eines Menschen der bereits alles hat, und dem daher nichts mehr glücklich machen kann. Doch eins ist ungewöhnlich an ihm. Normaler Weise interessieren sich Menschen wie er nur solange für etwas, bis sie es besitzen. Danach merken sie schnell, dass der Wunsch nach dem Besitz erfüllender ist, als der Besitz selbst. Schnell hält dann die alltägliche Einöde wieder Einzug, bis das Gefühl der Leere wieder überhandnimmt. Auch Haggard geht es so, bis auf eine Ausnahme. Denn obwohl er alle Einhörner – bis auf eins – sein Eigen nennt, macht ihn deren Anblick immer noch glücklich.
Vielleicht liegt es daran, dass er weiß, dass er Einhörner nie ganz besitzen kann. Zwar hält er sie gefangen, dennoch bergen diese Wesen Geheimnisse, die ihm dem Sterblichen nie zuteilwerden. Einhörner versinnbildlichen jene Aspekte, die sich mit rationalen Mitteln nicht erklären lassen. Sie galoppieren nur in unseren Träumen, jenseits unserer realen Gedanken. Daher faszinieren sie uns so sehr.
Prinz Lír und Lady Amalthea – Ein Paar von den Sternen
Da das Einhorn in seiner menschlichen Gestalt kein Stück der übernatürlichen Schönheit eingebüßt hat, verliebt sich der junge Prinz Lír, Haggards Adoptivsohn, sofort unsterblich in sie.
Doch verständlicher Weise nimmt das Einhorn keine Notiz von ihm. Sie ist zu sehr damit beschäftigt mit ihrem neuen Körper klar zu kommen. Die Verwandlung hat ein Trauma in dem alten, unsterblichen Wesen ausgelöst, das spüren kann wie ihr menschlicher Körper mit jedem Atemzug dem Tod näherkommt. Eine Erfahrung mit der wir Menschen schon zu kämpfen haben, für ein Einhorn ist das eine völlig ungewohnte Situation.
Um Amalthea trotzdem zu imponieren, wächst Prinz Lír über sich hinaus und wandelt sich von einem verträumten Tagedieb zu einem Helden. Doch keine noch so große Heldentat beeindruckt das verwandelte Einhorn. Im Gegenteil. Als Lír mit dem Kopf eines getöteten Drachen vor ihr steht, kommt der sich plötzlich schäbig vor und hat ein schlechtes Gewissen, das Ungeheuer erschlagen zu haben.
Amalthea wollte keinen Drachenkopf. Sie wollte das Pferd des Prinzen heilen, das bei dem Kampf mit dem Drachen schwere Wunden davon getragen hat. Als sie begreift, dass sie nicht mehr heilen kann, weil sie mehr und mehr zu einem Menschen wird, läuft sie totunglücklich davon.
Erst als sie sich immer mehr in dem Körper des Menschen verliert, erwacht ihr Interesse an den Prinzen und sie verliebt sich ebenfalls in ihn. Aufmerksamkeit erregt Lír bei ihr aber nicht durch eine Heldentat, sondern durch ein Gedicht.
Bald wird sich Lady Amalthea entscheiden müssen. Bleibt sie ein Mensch, heiratet Lír und verweilt auf dem Boden einer erdgebundenen Beziehung. Dann wären die Einhörner weiterhin verloren. Oder erfüllt sie jene Aufgabe wegen der sie losgezogen ist und befreit die Einhörner. Dann wäre ihre Liebe nur noch eine Fabel, die die Sterne erreicht.
Wer übrigens keine Lust hat das Buch zu lesen, aber trotzdem tiefer in die Geschichte des Einhorns eintauchen möchte, als der Film es ermöglicht, dem empfehle ich den farbenprächtigen 180 Seiten dicken Comic aus dem Jahre 2019, herausgegeben vom Panini Verlag, mit den fantastischen Zeichnungen von Renae De Liz.
Die Bilder erinnern an den Film, haben aber einen eigenen Stil, und die Geschichte ist sehr nahe am Buch, denn verständlicher Weise kann der Film nicht alle Handlungsstränge aufgreifen.
Das Letzte Einhorn – Der Trickfilm
1983 / FSK 6 / 89 Minuten
Nichtsdestotrotz gibt der Trickfilm die wesentlichen Ereignisse der Geschichte sehr gut wieder. Sich für einen Trickfilm zu entscheiden war schon aufgrund dessen eine gute Idee, weil man zu dieser Zeit die Magie der Geschichte kaum in einem Realfilm hätte einfangen können. Im Trickfilm jedoch, entfaltet sich ein malerisches Werk in leuchtenden Farben und die Charaktereigenschaften der Figuren werden durch entsprechende markante Zeichnungen über deren Äußeres nochmal besonders betont.
Die Zeichner des japanischen Studios Topcraft verstanden ihr Handwerk. Dennoch ging das Studio am 15. Juni 1985 bankrott. Hayao Miyazaki, Toshio Suzuki und Isao Takahata kauften das Studio mit einem Großteil der Zeichner und änderten den Namen, der heute nicht nur bei Anime-Fans in aller Welt bekannt ist: Studio Ghibli.
Der Soundtrack
Mit zum Zauber des Films trägt der Soundtrack bei. Der US- amerikanische Komponist Jimmy Webb entwarf wunderschöne Balladen vorgetragen von der Rockband America. Die Lieder sind ruhig und haben etwas Sehnsuchtsvolles. Sie werden getragen von einer leichten Melancholie, die jedoch nicht schwermütig macht, sondern eher neugierige Spannung über den Fortgang der Geschichte erzeugt.
Nur selten wurde es in einem Fantasyfilm verstanden die Geschichte durch Lieder so stimmungsvoll und erwachsen zu begleiten. Für mich ist dieser Soundtrack – auch die instrumentalen Werke – ein akustisches Kleinod.
Die Sprecher
Die Sprecher bestehen teilweise aus einer Riege sehr bekannter Schauspieler. Mia Farrow (Rosemaries Baby, Der große Gatsby, Tod auf dem Nil) spricht das Einhorn. Jeff Bridges (Tron, Starman, Iron Man) leiht Prinz Lír seine Stimme. Alan Arkin (Warte, bis es dunkel wird, Inspektor Clouseau, Edward mit den Scherenhänden), spricht Zauberer Schmendrick. Angela Lansbury (Der Hofnarr, Die Zeit der Wölfe, Mary Poppins‘ Rückkehr) haucht der Hexe Mommy Fortuna Leben ein.
Der große Christopher Lee spricht nicht nur König Haggard in der Originalfassung, sondern auch in der deutschen Synchronisation. Und besonders nett finde ich, dass in der deutschen Synchro der skurrile Schmetterling von Frank Zander gesprochen wird.
Trivia
Gleich in der Eröffnungssequenz wird das Einhorn in einen Wandteppich integriert, das dem Motiv Einhorn am Brunnen nachempfunden ist. Dieses Motiv gehört zu einem von sieben Wandteppichen aus der Reihe Meister der Einhornjagd, das ca. 1500 von einem unbekannten Künstler erschaffen worden ist.
Fazit zur Geschichte (Buch, Comic und Film)
Das letzte Einhorn ist keine epische Geschichte, wie z. B. Der Herr der Ringe. Die Erzählung ist still, zuweilen heiter, hat aber auch ihre tragischen Momente.
Die Reise des Einhorns ist eine Suche. Sie beginnt mit der Frage, ob dessen Artgenossen wirklich verschwunden sind, und wenn ja was mit ihnen geschehen ist. Während der Geschichte ändert sich die Suche, verlagert sich von außen nach innen. Und das uralte Einhorn wirkt plötzlich wie ein frischgeschlüpftes Wesen mit Fragen, die uns alle beschäftigen. Wer bin ich? Wen darf ich lieben?
Das Einhorn muss dabei nicht nur den Mut finden, sich einem schier übermächtigen Gegner, dem Roten Stier, beherzt entgegenzustellen, sondern auch darauf achten, dass es sich nicht selbst verliert.
Peter S. Beagle hat märchenhafte aber trotzdem erwachsene Fantasy geschaffen, die die ganze Familie zum Träumen und Nachdenken einlädt.
Zwei Herzen – Die Fortsetzung als Kurzroman
Die Fortsetzung von 2004 kann man nachlesen im Buch Der Weg nach Hause, erschienen bei Klett-Cotta. Jedoch gibt es bereits Buchausgaben von Das letzte Einhorn, die auch diese Geschichte enthalten.
Zwei Herzen ist für mich das ‚große Treffen der Legenden‘, denn wir sehen alle Lieblinge aus Das letzte Einhorn wieder: Den Zauberer Schmendrick, seine Begleiterin Molly Grue, Lír, der in der Zwischenzeit König geworden ist und auch das Einhorn.
Was hätte das für eine Geschichte werden können, besonders wenn man bedenkt, dass die Gefahr hier ein hochgefährlicher, menschenfressender Greif ist!
Denn viele Jahre nach der Befreiung der Einhörner wütet dieses Untier in einem kleinen Dorf. Selbst die Ritter des Königs können nichts gegen den Greif ausrichten. Daher beschließt das junge Mädchen Sooz den König selbst aufzusuchen und ihm um Hilfe zu bitten, denn er ist ja einmal ein großer Held gewesen.
Auf dem Weg zum König begegnet Sooz Schmendrick und Molly, die ebenfalls den König besuchen wollen. Die beiden bieten Sooz an, sich ihnen anzuschließen. König Lír ist entsprechend gealtert und krank. Seine Heldentage liegen schon lange zurück, doch diese eine Tat, den Greif stoppen, möchte Lír noch vollbringen. Daher bricht er mit Sooz, Schmendrick und Molly auf, um dem Ungetüm das Handwerk zu legen…
Zwei Herzen hat mich leider enttäuscht. Zwar schafft es Beagle den Zauber der Welt des letzten Einhorns wieder aufleben zu lassen. Ich freute mich auch, noch einmal mit Schmendrick und Molly auf Reisen zu gehen, und die beiden haben sich genauso entwickelt, wie ich es mir aufgrund der Vorgeschichte erhofft habe (sehr enge Vertraute aber kein Paar), und trotzdem wird nur ein Bruchteil des Potentials, das in dieser Geschichte steckt, genutzt.
Es hätte ein Roman werden können, der die Heldenreise von Lír würdig beendet, und auch Fragen beantworten, die man sich vielleicht am Ende von Das letzte Einhorn stellt. Gerade hinsichtlich der Beziehung zwischen Lír und Lady Amalthea hätte noch so viel Tiefe und Dramatik in einer Fortsetzung stecken können. Wie ist es den beiden seit der Befreiung der Einhörner ergangen? Hat das Einhorn, wieder Anschluss an sein früheres Leben gefunden, oder ist es immer noch davon gezeichnet, einmal ein Mensch gewesen zu sein? Ist das letzte Einhorn nun das erste Einhorn, das nach wie vor lieben kann oder stimmt es, als es zu Lír sagte: „Ich werde dich nicht lieben, wenn ich ein Einhorn bin!“
Nichts davon wird beantwortet, höchstens zaghaft angedeutet oder von zweiter Hand erklärt. Als das Einhorn endlich in der Geschichte auftaucht, weil Schmedrick es in höchster Not ruft (was mich überhaupt nicht überzeugt. Ruckzuck ist es da! Wie schnell ist denn so ein Einhorn? Wie nah ist Amalthea bereits gewesen?), stiehlt es Lír gewissermaßen die Show, da es nun das Einhorn ist, das gegen den Greif kämpft, was dem Kampf auf einmal vollkommen die Spannung raubt. Denn mal ehrlich! Wir wissen doch sowieso, dass das Einhorn gewinnt.
Daher hätte es beim Kampf zwischen Lír und dem Greif bleiben sollen – ohne Einmischung. Lír hat sich noch einmal hochgerappelt, um ein allerletztes Mal eine Heldentat zu vollbringen, auch wenn das sein Ende bedeuten könnte – das Ende seines Lebens, das Ende seiner Heldenreise, von deren Beginn wir in der ersten Erzählung Zeuge geworden sind.
Stattdessen stirbt Lír ohne diese letzte große Tat. Er stirbt still. Und auch das Einhorn bleibt still. Er und das Einhorn mögen sich vielleicht noch in Gedanken ausgetauscht haben, aber davon bekommen wir Leser nichts mit.
Das Mädchen Sooz als Ich-Erzählerin ist eine sehr unglückliche Wahl
Der Grund warum wir nicht in das Innenleben unserer alten Helden eintauchen können, Beagle hat sich für mich unverständlicher Weise dafür entschieden, die Geschichte als Ich-Erzählung aus Soozs Perspektive zu schreiben.
Das junge Mädchen ist sehr sympathisch, und das Abenteuer durch kindliche Augen zu sehen kann interessant sein, wenn es um höhere, für uns unverständliche Dinge geht, die wir selbst gern begreifen möchten. Schließlich handelt es sich gerade bei dem Einhorn und dem Zauberer um uralte Figuren, die sehr komplex sein können. Dann wäre das Kind quasi der Stellverstreter für unsere eigene mangelnde Erfahrung.
Darauf will die Geschichte aber nicht hinaus. Tatsächlich sind es sehr gut nachvollziehbare Vorkommnisse, die uns der Autor hier bietet. Daher hat die Ich-Perspektive den einzigen Effekt, dass uns unsere Lieblinge lediglich oberflächlich präsentiert werden. Dieses Einhorn hätte auch gut jedes beliebige Einhorn sein können, das zufällig des Weges getrabt wäre.
Zudem verhält sich Schmendrick an einer Stelle völlig untypisch für seinen Charakter. Ist er doch am Ende wie vom Donner gerührt, weil das Einhorn Soozs Hund wiederbelebt, König Lír aber nicht. Einem erfahrenen, weisen Zauberer sollte Molly nicht erklären müssen, warum das Einhorn so gehandelt hat. Vielmehr sollte er es sein, der das erklärt, so wie er auch manche Dinge in der Original-Geschichte erklärt hat, z. B. warum das Einhorn kein Mensch bleiben kann. In der Original-Geschichte hat man diese Weisheit trotz seines jungen Aussehens erkannt. Warum lässt Beagle ihn plötzlich so unerfahren, ja fast tumb wirken? Hier wäre das kleine Mädchen Sooz aufgrund ihrer geringen Erfahrungen tatsächlich als Fragesteller besser geeignet gewesen, als der alte Zauberer.
Schon klar! Sooz ist der Hauptcharakter einer unabhängigen Geschichte. Beagle wollte anscheinend den kompletten Fokus auf sie legen, sie aber nicht zu ahnungslos erscheinen lassen. Aber dann darf man halt keine Legenden aus früheren Geschichten einbauen. Es ist ja nicht so, dass die vier nur Cameo Auftritte hätten, nein, sie sind ein wichtiger Bestandteil der Geschichte. Für mich ist diese Story daher eher mit gut geschriebener Fan-Fiction zu vergleichen.
Ich erkenne den Roman, der hinter der kleinen Novelle Zwei Herzen verborgen liegt. Hier ist eine wirklich großartige Geschichte verloren gegangen. Sehr, sehr schade!
Das letzte Einhorn aber wird für mich immer eine der ganz großen Fantasy-Erzählungen bleiben, ganz gleich ob als Buch, Comic oder Film.
Fotos: Michael Schnitzenbaumer